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DIE REGIERUNGSKRISE DER TÜRKEI KLÄRT DIE POLITISCHEN FRONTENChance für Pro-Europa-Fraktion

Seit gestern ist klar, dass die derzeitige Regierungskrise in der Türkei nicht unbedingt zum großen Chaos führen muss. Im Gegenteil hält sie die Chance bereit, die politischen Fronten zu klären. Die derzeit formal noch amtierende Regierung war seit ihrem Beginn ein kruder Zusammenschluss von Unvereinbarem, das sein Zustandekommen lediglich einer besonderen Ausnahmesituation verdankte. Die letzten Wahlen fanden kurz nach der Festnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan statt. Dieser Triumph bescherte dem schon auf dem Altenteil sitzenden Übergangspremier Ecevit einen unerwarteten Wahlsieg und den Ultranationalisten der MHP ein Ergebnis weit über ihrer realen gesellschaftlichen Bedeutung.

Das kann nun zurechtgerückt werden. Ecevit wird endgültig von der politischen Bühne abtreten. In der linken Mitte wird damit Platz für eine neue Formation frei. Diesen Platz versucht nun der ehemalige Außenminister Cem zusammen mit dem Mann des IWF, Kemal Dervis, zu füllen. Beide repräsentieren, im Gegensatz zu Ecevit, auch eine klare Pro-Europa-Politik. Demgegenüber wird die MHP nun als rechte bis rechtsradikale nationalistische Alternative antreten, ohne noch so zu tun, als sei sie im Prinzip auch für eine EU-Mitgliedschaft.

Die dritte Kraft sind die Islamisten. Die gesellschaftlich konservativen, religiös motivierten Politiker stehen zwischen den beiden Gruppen: innenpolitisch konservativ, außenpolitisch trotzdem relativ offen für eine Zusammenarbeit mit der EU, schon weil sie sich davon politische Freiheiten versprechen, die ihnen jetzt oft noch verwehrt werden.

Es kann sein, dass neben der Partei Ecevits, der DSP, auch die rechten bürgerlichen Parteien Anap und DYP in diesem Neuordnungsprozess untergehen. Verdient hätten sie es. Doch auch wenn sie die Zehnprozenthürde schaffen, werden sie sich einem der drei Lager zuordnen müssen. Die Türkei wird nach den Wahlen ein eindeutigeres Bild ihrer politischen Kräfteverhältnisse bieten. Ob sich daraus allerdings eine stabile Regierung formen lässt, ist eine ganz andere Frage. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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