■ DIE PREDIGT-KRITIK (HEUTE: KATHOLISCH): Das Kamel im Nadelöhr
Wer gibt, dem wird gegeben werden: Wo der Pfarrer recht hat, hat er recht. Denn habe ich als Kind nicht immer zu Weihnachten einen kleinen Hedwigsdom aus Pappe gebastelt, mit einem Schlitz im Dach, in dem meine Opfergroschen verschwanden? — Auf Nimmerwiedersehen, dachte ich damals, aber jetzt kann ich in den Hedwigsdom gehen, wann immer ich will! Wer gibt, dem wird gegeben werden, Version Herbst 91: Da bemüht der Pfarrer zunächst eine Karikatur der berühmten Kirchenzeitung 'Tag des Herrn‘: Zwei Männer stehen vor einer Deutschlandkarte, auf der alle Orte Hoyerswerda heißen, und der eine fragt: Wo ist das? Die Ausländerhetze der letzten Wochen sei mehr als beschämend, um so mehr, als die Danebenstehenden auch noch applaudieren. Die Frage sei nicht, warum diese Ausländer hierherkämen, schließlich sei die BRD das reichste Land der Welt, sondern woher dieser gesteigerte Fremdenhaß rühre: Die Wurzel des Problems — aus katholischer Sicht: Es ist die Angst vor dem Fremden und noch mehr vor dem Teilen. Womit er beim zentralen Punkt seiner Predigt angekommen wäre: Der Katholik und das Eigentum, und da gibt es doch in der Matthäuspassion die zentrale Aussage: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt.
Das gleiche Unverständnis wie seinerzeit bei den Jüngern Jesus' ahnt der Pfarrer auch bei seiner Gemeinde, denn daß irdische Reichtümer vor Gott nichts gelten, ist die eine Seite, die andere sind 40 Jahre Volkseigentum. Seit gut einem Jahr könnten sie jetzt wieder die Erfahrung machen, wie wichtig doch Besitz zur Verwirklichung des Lebens sei. Nun muß der Gläubige zum Spagat ansetzen: Eigentum ist nicht grundsätzlich schlecht, aber er soll sich nicht daran binden, denn Eigentum, das ist auch die Freiheit, Gutes zu tun. Die Balance zwischen »Wieviel Eigentum« und »Wieviel Gutes« muß dabei jeder für sich selber finden. In der Bibel entledigte sich der eine, als Beispiel der Liebe Gottes, all seiner Habe. Das sei ein Weg, sagt der Pfarrer, und man spürt förmlich die Erleichterung der Gemeinde: So muß es aber nicht sein. Ein jeder höre in sich hinein, um zu wissen, wieviel er behalten und zu geben habe, um trotzdem ins Himmelreich zu kommen.
Aber heißt es nicht auch: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus? Das hat der Pfarrer nicht gesagt, dafür hat er eine Frage gelöst, die mich schon immer beschäftigt hat: Warum heißt es eigentlich: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr? Was hat das Kamel mit einer Nähnadel zu tun? Gar nichts, denn das Nadelöhr, das weiß ich jetzt, war ein kleiner Durchlaß in der Mauer der jüdischen Städte, durch das sich Menschen noch hinein- oder hinauszwängen konnten, wenn die Stadttore schon geschlossen waren.
Bleibt für den Katholiken die Frage: Gibt es am Himmelstor auch ein Nadelöhr? Lutz Ehrlich/Foto: Thomas Tielsch
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