DIE LONDONER KUNSTMESSE „FRIEZE“ HAT ZUWACHS BEKOMMEN: „FRIEZE MASTERS“ : Wenn die Kanalrohr-Mortadella angeschnitten wird
VON JULIA GROSSE
Am Wochenende schlenderte ich über Londons neue Kunstmesse „Frieze Masters“ wie durch ein Lehrstück in Popkultur für Millionäre. Die Halle, wohl dosiert gefüllt mit Kunst, entstanden vor dem Jahre 2000, wirkte wie das großzügige Apartment eines coolen Pariser Sammlerehepaares.
Gezückte Lesebrille
Wo Sigmar-Polke-Fotografien selbstbewusst neben Renaissance-Schinken hängen und nonchalant mit Straßenschuhen über den zartgrauen Teppich spaziert wird. Ein Besucher mit lichtem Haar im gleichen Grauton zückte seine Lesebrille, um das Entstehungsjahr eines vergoldeten Altarstücks zu erkennen. „1437! Vor solchen Schätzen wird ein Richard Prince glatt zur Dekoration!“
Wohl dosierte Überheblichkeit strömte hier aus jeder grauen Teppichfaser: „So, Kinder, lasst bitte die Erwachsenen nun mit richtigem Geld spielen“, kommuniziert in einer perfektionierten Lässigkeit, die eben auch ganz neuem Publikum gefiel: 22-jährige Mädchen mit geweiteten Ohrläppchen und Modeblog knipsen andächtig ikonografische Gemälde aus dem 14. Jahrhundert.
Es wird kein Zufall sein, dass Galerien so arrangiert wurden, damit die verzerrten Visagen von Thomas Schütte und Renaissance-Porträts einflussreicher Machthaber plötzlich fabelhaft aufeinanderprallten. Wegweisende, spät gefeierte Künstlerinnen wie Birgit Jürgenssen wurden griffig-pfiffige zu „OWA’s (Older Women Artists)“ abgekürzt, während ältere Herren in Chucks und Seidenschal beim Reden über einen Picasso mit Beträgen jonglierten, die man selbst eher von Monopoly-Abenden kennt.
Ich stand neben der erwähnten Gruppe 22-Jähriger und dachte: Zieht diese neue Messe (mit alter Kunst) ihrer alten Schwester (mit junger Kunst), der „Frieze Art Fair“, wenige Meter Luftlinie im Park entfernt, jegliche Coolness unter den Füßen weg?
Immerhin kann hier mit beinahe 1.000 Jahren Kunstgeschichte wild gemixt werden, mit Fotos von Jeff Wall neben antiken Masken. Stand ich auf der anderen Frieze am Morgen noch ratlos vor einer aufgehängten Decke mit Garfield-Comic-Aufdruck, stachen mir jetzt auf der „Frieze Masters“ die messerscharfen Striche einer famosen George-Grosz-Arbeit in den Magen. „Der reinste Zoo!“, lästerte eine Besucherin über die „Frieze Art Fair“. Ein aufgekratzter, schlecht durchlüfteter Zoo, vollgestellt mit Kunst, die nach dem Jahre 2000 entstanden ist: grelle Skulpturen, wackelige Installationen oder junge Konzeptkunst, die fleißig Titel, Thesen und Temperamente der Vergangenheit aus der Versenkung holt.
Doch ist es genau dieses Unfertige, das zwischen Manie, Zweifel und Depression changierende Gebärden von Galeristen, Künstlern und Käufern, was mir an der Ur-Frieze immer noch gefällt. Im neuen Zelt war alles makellos, man wurde erdrückt von der Ehrfurcht vor den Jahrhunderten: Bei einem Altarstück aus dem 13. Jahrhundert hört all die inszenierte Lässigkeit plötzlich auf, und es geht nur noch um die Zahlen.
Im anderen Zelt dagegen ging der Zirkus weiter, wurde Kanalrohr-große Mortadella angeschnitten, griffen Besucher beherzt in minimalistische Installationen, da sie annahmen, das Ganze sei nicht Kunst, sondern ein schicker Stapel mit Infozetteln.
■ Julia Grosse ist taz-Kulturkorrespondentin in London