DIE GRÜNEN MERKEN NICHT, DASS DIE KRISE DER SPD AUCH IHRE IST : Schrecklich gut gelaunt
Eigentlich könnte es heute spannend werden. Die Bundes- und Landespolitiker der Grünen treffen sich in Berlin, in einer Lage, die viel schlimmer kaum sein könnte: Nicht einmal jeder Dritte würde zurzeit noch Rot-Grün wählen. Doch wer nun auf hitzige Strategiedebatten oder parteiinternen Streit wartet, wird das wohl vergebens tun. Warum auch? Dafür sind die von Umfragen verwöhnten Grünen viel zu gut gelaunt. Plötzlich gelten sie als Stabilisatoren der Regierung. Dass sie bereits in der konservativen Presse als die wahre „Kanzlerpartei“ verspottet werden, verstehen die grünen Führungskräfte eher als Kompliment.
Am liebsten wäre es ihnen, die unangenehmen Themen blieben einfach unentschieden. Den Export der Hanauer Atomfabrik, der allen grünen Prinzipien widerspricht, sollen die zuständigen Ministerien so lang wie möglich prüfen. Für die Chefgrünen stellt es keine moralische, sondern eine taktische Frage dar, ob „Hanau“ exportiert wird. Die Regierungsgrünen sagen, dass sie den Export verhindern wollen, während sie denken, dass es keinen Unterschied macht, ob China 80 oder 81 Atomwaffen hat. Das längst total verwässerte Zuwanderungsgesetz würde man gerne totreden, bis keiner mehr danach fragt – geschweige denn nach grünen Konzepten für den Fall des Scheiterns; es gibt nämlich keine. Beim Emissionshandel scheinen die Grünen darauf zu hoffen, dass sich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement weiter selbst demontiert und die SPD nachgibt. Jedenfalls wurde nach eigener Aussage keine dieser potenziell strittigen Fragen bei der Koalitionsrunde am Freitag angesprochen.
So ruhen sich die Grünen aus und vergessen ihr Publikum. Doch die Rechnung der Pragmatiker könnte nur kurzfristig aufgehen – bis sich nämlich zu viele Wähler fragen, welchen Unterschied es eigentlich macht, ob die Grünen in der Regierung sind oder nicht. Allzu lang sollten die Grünen nicht darauf vertrauen, dass die Westerwelle-FDP keine Konkurrenz darstellt. Es gibt derzeit weit mehr Liberale als Grüne, die weiter als bis zur nächsten Umfrage denken. LUKAS WALLRAFF