DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Das Märchenkind
WAS SAGT UNS DAS? Seitdem der Schauspieler Gérard Depardieu russischer Staatsbürger ist, lernt er die Freundlichkeit seiner neuen Heimat kennen
Russland ist ein gastfreundliches Land. Je weiter der Besucher nach Süden gelangt, desto wärmer und herzlicher wird die Betreuung. Auch die Gaben für Fremde werden größer.
Der Schauspieler Gérard Depardieu, der im Januar von Kremlchef Wladimir Putin die russische Staatsbürgerschaft erhielt, lernt gerade seine Wahlheimat kennen. Tschetscheniens regierender Despot, Ramsan Kadyrow, schickte dem Exfranzosen ein Flugzeug, um ihn aus Saransk in Mordwinien abzuholen, wo der Franzose seit Samstag offiziell gemeldet ist. Adresse: Straße der Demokratie Nummer 1. In Grosny wartete Kadyrow am Flughafen und schloss den Freund fest in die Arme. Depardieu war im letzten Jahr schon zu Kadyrows 36. Geburtstag da. Der Mann durchlebt gerade ein Märchen.
Nicht weil ihm Ramsan Kadyrow eine 5-Zimmer-Wohnung in Grosnys Business-City samt Ehrenbürgerschaft schenkte. Sondern weil der 64-Jährige geliebt wird, wohin er auch kommt. Blickt Depardieu in die omnipräsenten Kameras, schaut er wie ein Kind beim Geburtstag. Für den Kreml ist er ein Geschenk des Himmels.
Depardieu will „Botschafter eines neuen Russlands sein.“ Denn das „verkörpert alles, was ich mag“. Das Absolute in der Aussage ist wohl ein wenig der Euphorie geschuldet und der russischen Liebe für alternde Männer aus dem Westen. Die eigenen sterben früher.
Tanzende Tschetschenen
Dem tschetschenischen Staatschef versprach Gerard Depardieu einen großen Film über den Wiederaufbau Grosnys. „Vaterherz“ soll der Streifen über Ramsans ermordeten Vater Hadschi Achmad heißen. „Wer so tanzt und singt wie die Tschetschenen, der muss rundum glücklich sein“, sagt Depardieu. Krieg, Verbrechen? War da was?
Er hat andere Sorgen: Mordwinischer Fifa-Botschafter soll er werden, Saransk ist ein Austragungsort der Fußball-WM. Außerdem überlegt er, ein Designerrestaurant zu eröffnen.
Russlands Intellektuelle sind amüsiert und entgeistert. Zuletzt war es der Schriftsteller André Gide, der sich von Stalin 1937 einlullen ließ. Später korrigierte er die Begeisterung durch die „Retuschen zu meinem Russlandbuch“. Ähnlich werde es auch Depardieu ergehen, meinte der Schriftsteller Dmitri Bykow. Jetzt spiele der einen „superneuen Russen“. Später werde er Reue zeigen und zu „seinem Frankreich zurückfinden, europäische Werte preisen und sich voll Grauen an sein russisches Abenteuer erinnern“. Vorausgesetzt – er übersteht es.
KLAUS-HELGE DONATH, MOSKAU