DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Der deutsche Snowden
WAS SAGT UNS DAS? Die Mollath-Fans interessieren sich nicht für Details – sie stören eher
Gustl Mollath hat etwas mit Jörg Kachelmann gemeinsam – er ist zur kolossalen Projektionsfläche geworden, losgelöst von seinem Fall und dessen strafrechtlichem Gehalt, der Fakten unbeachtet, weit abseits von Bewiesenem und Unbewiesenem. Bei Kachelmann war es der blinde Vulgärfeminismus von Alice Schwarzer, der Kachelmann, mit Hilfe des Boulevards, vor jedem Urteilsspruch zum Monster stilisierte. Da gab es nicht den Einzelfall, den es in einem rechtsstaatlichen Verfahren aufzuarbeiten galt. Im Gegenteil: Der Fall und dessen Details störte eher.
Ähnliches passiert jetzt im Fall Mollath. Mit umgekehrten Vorzeichen. Ging Gustl Mollath einst auf seine Frau los? Zerstach er Autoreifen? Diese Details sind in den letzten Monaten für die Mollath-Fans unerheblich geworden, gar störend. Sie überblenden den Fall mit einer allgemeinen Folie aus Verschwörung und Verfolgung. Für die Anhänger Mollaths geht es nicht um den kleinen Krieg ehemalig Liebender, um schlichte Eifersucht.
Es geht jetzt um eine finstere Bankenwelt und einen Staat, der seine Bürger mundtot macht. Um die Wahrheit hinter der Wahrheit. Um verlogene Politiker, die korrupte Justiz. Für manche ist Mollath gar ein deutscher Edward Snowden, ein paar Piraten übertrugen gestern per Livestream vom Bezirkskrankenhaus in Bayreuth. Der Verteidiger Mollaths kommentierte dessen Freilassung mit: „Der Rechtsstaat ist jetzt wiederhergestellt.“ Wie aggressiv Mollaths Fanclub sein kann, zeigt dessen Umgang mit kritischen Berichten. Eine Journalistin des Spiegels, die den Fall begleitete, zuletzt im Juli mit einer akribisch recherchierten Geschichte, berichtet von Shitstorms und Beschimpfungen. Sie hatte gezeigt: Es gibt keinen Justizskandal. Sehr wohl gibt es aber die Selbstgerechtigkeit Mollaths – und seiner Fans. FLX