DIE GEISELNAHMEN IM IRAK SIND SOWOHL WILLKÜRLICH ALS AUCH EFFEKTIV : Jede Entführung schafft Verunsicherung
Die Entführungen von Ausländern im Irak werden immer bizarrer. Im Falle der verschleppten französischen Journalisten wird einmal mehr die vollkommene Willkür der Geiselnehmer-Forderungen deutlich: Für deren Freilassung wird verlangt, dass die Regierung in Paris das Kopftuchverbot an französischen Schulen aufhebt. Fast scheint es, als hätten die Entführer zwei Ausländer auf der Straße getroffen, sie mitgenommen, festgestellt, welcher Nationalität sie sind – und dann beratschlagt, was man für sie verlangen kann.
Im Falle der Franzosen, deren Land sich ja aus dem Irakkonflikt herausgehalten hat, war das nicht so einfach. Es dauerte einige Tage, bevor man mit der Kopftuch-Forderung an die Öffentlichkeit ging. Die ist zwar in großen Teilen der islamischen Welt populär – aber um den Entführern islamistische Motive zu unterstellen, reicht das nicht. Dafür wurden bisher bereits zu viele ausländische muslimische Lastwagenfahrer verschleppt. In ihrem Falle wurde stets verlangt, dass deren Arbeitgeber ihre Aktivitäten im Irak einstellen.
Bei all der Beliebigkeit ist bei der Verschleppung von Ausländern im Irak eine strategische Linie auszumachen: Jede Entführung schafft Verunsicherung. Um festzustellen, wie effektiv diese Strategie ist, muss man sich ausmalen, wie es im Irak heute ohne Geiselnahmen zuginge: Tausende von ausländischen Geschäftsleuten würden das Land nach lukrativen Wiederaufbaumöglichkeiten durchkämen. Der Irak wäre ein wahres Eldorado für die internationale Geschäftswelt. Stattdessen herrscht im ganzen Land Ausnahmezustand.
Die Entführer haben die US-Pläne durchkreuzt. Den Preis dafür aber bezahlen nicht nur die wenigen waghalsigen Journalisten und Geschäftsleute, die weiterhin das Risiko eingehen in den Irak zu reisen, oder die Drittwelt-Lastwagenfahrer, die in ihrer Tätigkeit auf den gefährlichsten Straßen der Welt die einzige Möglichkeit sehen, ihre Familien zu Hause zu ernähren. Den größte Teil der Zeche zahlen die Iraker selbst, für die Wiederaufbau und Normalität wohl in absehbarer Zukunft fromme Wünsche bleiben werden. KARIM EL-GAWHARY