DIE ERNEUERUNG DES WIEN-MUSEUMS : Ein Haus voller Madeleines
KNAPP ÜBERM BOULEVARD
Kann es eigentlich noch euphorische Aufbrüche in der Kulturszene geben? Spontan würde man sagen: nein. Etwa wenn man in Wien ins neue „21er Haus“ geht. Einst legendärer Eisbrecher für moderne Kunst in einer hoffnungslos antimodernen Stadt, wurde das lange brachliegende „20er Haus“ nun als „21er Haus“ wiedereröffnet. Und es erfüllt alle Befürchtungen. Es hat die edelsten Toiletten und die grauenhafteste Eröffnungsausstellung: „Utopie Gesamtkunstwerk“. Man sieht, ein Museum ist kein Vampir, der einfach an frühere Blutkreisläufe andocken kann. Das funktioniert nicht. Das Ergebnis ist deprimierend.
Die gute Botschaft aber ist: Es gibt sie noch, die Aufbrüche. Nur anderswo. Etwa im Historischen Museum der Stadt Wien. Das hat den genau umgekehrten Weg zurückgelegt. Einst Inbegriff einer verstaubten Institution, ein dröges Stadtmuseum mit dem Charme des Schulfunks. Da ging man höchstens zwangsverpflichtet mit der Schulklasse hin. So etwas wach zu küssen – dazu braucht es keine großen Meisterkategorien wie Avantgarde oder Utopie. Dazu muss man nicht als Erstes und Einziges die Hütte mit viel Geld hochglanzmagazinkompatibel machen. Dazu braucht es vielmehr Intelligenz, gepaart mit Leidenschaft.
Der neue Direktor, Wolfgang Kos, in seinem Vorleben ein bekannter Radiomann, sowie ein tolles Kuratorenteam – er brennt, sie brennen für das, was sie da tun. Das ist keine schicke Pose, das ist leidenschaftliches Interesse. Man kann also festhalten: Engagement, Leidenschaft, Euphorie – das ist es, was die Kultur nach wie vor braucht. Das ist es, was sich vermittelt, was zündet, greift und was derlei Ansteckungsmetaphern mehr sind. Das macht doch echt froh. Der Vampirismus des Modischen, das am Arrivierten parasitieren will, funktioniert nicht. Sackgasse! Nada. Aber dort, wo es Feuer für eine Sache gibt, dort zündet der Funke noch heute.
Die Intelligenz, die es dafür braucht, ist eine, die etwa völlig neu definiert, was Stadtgeschichte, was Veränderung, ja, was Stadt überhaupt ist. Ein Museum, das absolut zeitgenössisch, ein Museum, das völlig „contemporary“ ist – das ist kein Widerspruch. Es zeigt vielmehr, wie das Jetzt, das konkrete jetzige Leben hier in dieser Stadt, in Wien, aus langsamen Verschiebungen hervorgeht, aus lebensweltlichen Veränderungen, die fast unmerklich vor sich gehen und deren Summe dazu führt, dass man sich in einer ganz anderen Welt als jener der 60er und 70er Jahre wiederfindet.
Die vorsichtig erneuerte Dauerausstellung des Wien-Museums ist ein Raum für Nostalgie im Zizek’schen Sinne: ein Raum für die Sehnsucht nach den Subjekten, denen diese Lebenswelten, denen diese Dinge noch vertraut waren, die sich damit noch unmittelbar identifizieren konnten. Dinge, die für deutsche Ohren vielleicht nicht klingen, wie ein Fußbodenstück des abgerissenen Südbahnhofs oder das Auto von Bruno Kreisky.
Internationaler ist da das Klick-klack-Spiel aus den späten 70er Jahren, das es hier zu Museumswürden gebracht hat und wie eine Proust’sche Madeleine funktioniert: Es ist – wie Prousts Sandkuchen – sinnlicher Auslöser einer unwillkürlichen Erinnerung an eine frühere, vergangene Lebenswelt. Man spürt sofort die blauen Flecken an den Armen und hört das unerträgliche Geräusch. Klick-klack.
Ein Museum voller Madeleines – von den persönlichen Erinnerungsstücken stadtbekannter Persönlichkeiten über die wechselnden städtischen Mistkübel bis hin zu den Modellbauten eines Versicherungsvertreters, die in einem Müllsack gefunden wurden. Ja, auch dort, im Müll einer Stadt kann man solche Madeleines finden, deren Schönheit man erst wahrnimmt, wenn sie nicht mehr selbstverständlicher Teil unseres Lebens sind. Genau daran misst sich aber die Zeit, die vergangen ist. Genau daran wird die Veränderung sinnfällig.
Das sei jetzt hemmungslose Werbung? Ja, aber eine unbezahlte (leider!), dafür aber eine aus aufrichtiger Überzeugung. The best thing in town.
■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien