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Archiv-Artikel

DIE DRESDNER VOTIERTEN GEGEN SCHRÖDERS MACHTSPIELE Merkels neuer Vizekanzler

Diesmal hatten die Taktikwähler Glück. Bei der Bundestagswahl vor zwei Wochen gaben viele Unionswähler ihre Zweitstimme der FDP, um eine große Koalition zu verhindern – und schwächten damit nur die Position der Union in dem ohnehin unvermeidbaren Bündnis. Bei der Nachwahl in Dresden entschieden sich viele Wähler für die Liberalen, um die CDU vor dem Verlust eines Überhangmandats zu bewahren – und hatten damit Erfolg. Die Unionsparteien konnten ihren Vorsprung vor der SPD von drei auf vier Mandate ausbauen.

Wichtiger als derlei taktische Spielchen ist aber die Aussage, die sich mit dem Dresdner Wahlergebnis verbindet: Gerhard Schröders Versuche, aus seiner knappen Niederlage im Bund den Auftrag zu einer neuerlichen Kanzlerschaft herauszulesen, stoßen beim Wahlvolk offenkundig nicht auf Gegenliebe.

Entgegen dem Bundestrend schnitt die CDU in Dresden bei den Erststimmen deutlich besser ab als 2002, und die SPD musste bei den Zweitstimmen herbe Verluste hinnehmen – auch wenn manch ein Sozialdemokrat jetzt versucht, das Stimmensplitting der Unionswähler geflissentlich zu ignorieren. Genauso offenkundig wie das Dresdner Ergebnis war es allerdings auch, dass sich Schröder – anders als von Unionsgranden vorhergesagt – nicht gleich im Anschluss an die Nachwahl zurückziehen würde. So irreal sein Anspruch auf die Kanzlerschaft auch ist, so wertvoll ist er dennoch für die SPD in den anstehenden Koalitionsverhandlungen, wo Gerhard Schröder derzeit noch als Garant der viel zitierten „gleichen Augenhöhe“ mit der Union benötigt wird.

Weit glaubwürdiger könnte er diese Garantenrolle spielen, wenn er sie auch nach der Regierungsbildung noch ausfüllen, sprich: wenn er als Vizekanzler in eine Regierung Merkel eintreten würde. So etwas gilt hierzulande zwar als politische Spinnerei. Doch in vielen Ländern ist es gängige Übung, dass frühere Regierungschefs zwischendurch als Oppositionsführer, Vizepremiers oder gar als schnöde Minister fungieren. Das wäre dann der krönende Abschluss jener europäischen Normalisierung, die das Wahlergebnis vom 18. September schon eingeläutet hat. RALPH BOLLMANN