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Archiv-Artikel

DIE CHANCE IST VERTAN, DIE VORSCHLÄGE ZUR EU-REFORM UMZUSETZEN Alter Mann scheitert an Zwergen

Über kein Kapitel der neuen EU-Verfassung ist im Vorfeld so viel diskutiert und spekuliert worden wie über die Neuordnung der Institutionen. Die Pläne von Konventspräsident Valérie Giscard d’Estaing sind seit Monaten bekannt. Warum ist dennoch nun, da die Pläne schwarz auf weiß vorliegen, die Aufregung und Empörung so groß?

Giscard hat den alten Trick versucht, die Medien für sich einzuspannen. Aus der Zeitung erfuhren die Mitglieder seines Präsidiums und die Delegierten im Konvent die Einzelheiten seines Projekts. Damit brachte er das mächtige Präsidium gegen sich auf. Dabei braucht er nun, wo der Konvent unter Zeitdruck gerät und die Machtfragen entschieden werden müssen, Verbündete dringender als zuvor.

Spätestens seit dem jüngsten Aufruhr ist klar, dass der alte Mann auf dem Podium keine Ahnung hat, was seine 105 Delegierten bewegt. Die Frage, ob hinter dem Führungsstil des Franzosen ein raffinierter Plan steckt, den nur er durchschaut, oder ob ihm schlicht das Gefühl dafür fehlt, welcher Unmut sich beim Fußvolk im Konvent zusammengebraut hat, ist damit beantwortet.

Wenn Giscard nun den Kompromissentwurf seines Präsidiums selbst als Verbesserung der eigenen Ideen lobt, kommt diese Einsicht leider zu spät. Denn 18 der 28 im Konvent vertretenen Länder rechnen sich den „Zwergen“ zu, die Giscards Modell strikt ablehnen. Beim Gipfel in Athen Mitte des Monats haben sie sich den Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker als Sprecher gewählt und deutlich gemacht, dass sie ihr Gewicht in die Waagschale werfen werden.

Wäre Giscard psychologisch geschickter vorgegangen und hätte dem Konvent die Frage vorgelegt, wie die erweiterte Union regierbar bleiben kann, hätte er die Zwerge ins Boot holen können. Dann hätte der nun vorliegende – und durchaus brauchbare – Entwurf als Arbeitsergebnis am Ende der Beratungen eine Chance gehabt. Da die Delegierten ihn jetzt als Diktat ansehen, werden sie in ihren Änderungsanträgen nicht viel von ihm übrig lassen. DANIELA WEINGÄRTNER