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Archiv-Artikel

DIE BUNDESWEHR AN SICH IST SCHON EINE MISSHANDLUNG Demokratie in die Kasernen

Ein weiterer Fall misshandelter Bundeswehrrekruten ist aufgedeckt. Es wird nicht der letzte bleiben. Bei konsequentem Hinsehen wird man feststellen, dass Misshandlungen fast die Regel sind, weil das System der Ausbildung darauf basiert. Zackiges Herumbrüllen, 30-Kilometer-Märsche mit „Sturmgepäck“, das Absingen idiotischen Liedguts, die ganze Orgie aus An-, Ab-, Vor- und Zurücktreten, das Exerzieren und Auf-dem-Bauch-Herumrobben, das alles sind unwürdige und antiquierte Überreste preußischen Untertanentums aus einem anderen Jahrhundert. Eigentlich ist die gesamte Grundausbildung eine Misshandlung der Integrität junger Erwachsener. Nichts gegen Fitnessprogramme, Sport und Laufen – alles wunderbar. Aber der militärische Drill ist in dieser Form durch nichts zu rechtfertigen. Die Bundeswehr würde viel besser ohne ihn funktionieren.

Warum müssen Vorgesetzte mit Zollstock und Weltuntergangsmiene durch die Stuben rennen und die Breite zusammengelegter Hemden millimetergenau abmessen? Warum muss im Jahr 2004 beim morgendlichen „Bettenbau“ Faltenfreiheit per Strafandrohung exekutiert werden? Warum wird erwachsenen Menschen vorgeschrieben, wie sie ihr Haar zu tragen haben? Im Grunde ist die Bundeswehr noch immer ein bis in die Stiefelspitzen autoritäres Reservat unserer Gesellschaft – out of time. Sie wird damit zwangsläufig zu einem Zufluchtsort für Zwangscharaktere, Dumpfnasen und Rechtsradikale. Daran wird sich nichts ändern, wenn man das bestehende System in eine Berufsarmee überführt. Auch Berufssoldaten kann man schikanieren, „Wildgänse rauschen durch die Luft“ singen lassen und bei falsch zusammengelegten Decken mit Strafexerzieren quälen.

Die Abschaffung der Grundausbildung, des militärischen Grußes und Exerzierens wären ein erster Schritt. Beim Zivildienst geht es doch auch ohne Strammstehen. Warum toleriert es eine Gesellschaft, dass ihre jungen Männer stundenlang in lächerlicher Kluft und im Gänsemarsch gedrillt werden „bis das Arschwasser kocht“ (beliebter Ausbilderspruch)? Warum muss Demokratie am Kasernentor aufhören? Oberfeldwebel Schulze – abtreten! MANFRED KRIENER