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Archiv-Artikel

DIE BRASILIANER ERWARTETEN VOM WAFFENVERBOT KEINE SICHERHEIT Kollektiver Hilfeschrei

Ein Sieg der Waffenlobby? Solch eine Analyse greift im Fall der Volksabstimmung in Brasilien zu kurz. Dass sich fast zwei Drittel der Bevölkerung gegen ein Verbot des legalen Waffenhandels ausgesprochen hat, ist eher ein kollektiver Hilfeschrei nach dem Motto: Wer soll uns schützen, wenn nicht wir selbst? Brasiliens Regierung hatte die komplexe Frage nach mehr Bürgersicherheit in einem aufwändig inszenierten Referendum auf die Frage des legalen Waffenhandels reduziert. Dafür bekam sie jetzt die Quittung. Denn zu Recht erwartete davon niemand einen Durchbruch gegen die Gewaltkriminalität; allenfalls ein paar tödliche Streite und Unfälle weniger wären zu erwarten gewesen.

Gute Absichten ersetzen keine Konzepte in der Sicherheitspolitik, in der der Staat für arme und reiche BrasilianerInnen gleichermaßen versagt hat. Anders als in den USA mit ihrem Verfassungsrecht auf Waffenbesitz finden sich in Brasilien nicht in jedem dritten Haushalt Schusswaffen, sondern in weniger als fünf Prozent. Gravierender für die exzessive Gewaltkriminalität in Brasilien sind zwei andere Faktoren: Zum einen sind die sozialen Unterschiede extrem, zum anderen herrscht in großen Teilen des Hinterlandes und vor allem in den Armenvierteln der Metropolen Rechtlosigkeit. Gegen beides hat Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva seit seiner Wahl vor drei Jahren kaum Erfolg versprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Allzu oft scheitert die dringend notwendige Koordinierung der Polizeieinheiten auf Bundes- und Landesebene an politischen und persönlichen Rivalitäten, die in der Sache kaum begründet sind. Viele Morde bleiben wegen einer engen Verquickung von organisierter Kriminalität, Polizei, Justiz und politischen Eliten ungeahndet.

Das Gewaltmonopol des Staates war schon vor der neoliberalen Auszehrung des Staates seit den Neunzigerjahren prekär, und rasche Abhilfe erwartet niemand. Sollte das Thema nun allerdings auf der politischen Tagesordnung bleiben, war die Volksbefragung am Wochenende vielleicht doch nicht umsonst. GERHARD DILGER