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Archiv-Artikel

DIE ANWÄLTE DER ESCHEDE-HINTERBLIEBENEN GEHEN ZU WEIT Der zweite Albtraum

Gerichtsverfahren können helfen, seelische Wunden zu heilen. Sie können aber auch neue Wunden aufreißen. Die Prozesse nach dem grausigen Bahnunglück von Eschede haben den Hinterbliebenen der rund hundert Opfer wohl kaum die erhoffte Genugtuung erbracht. Schuld daran sind aber nicht die Gerichte, sondern in erster Linie die Anwälte derjenigen, die in Eschede nahe Verwandte verloren haben.

Dass Anwälte parteiisch sind und das Recht in diesem Sinne einseitig auslegen, ist nicht nur normal, es ist sogar ihre Pflicht. Der Rechtsanwalt ist eben kein neutraler Mediator. Aber es fragt sich, wo der Nutzen für die Hinterbliebenen ist, wenn ihnen von ihren eigenen Anwälten suggeriert wird, dass ihnen permanent unglaubliches Unrecht widerfährt. „Die Opfer und Hinterbliebenen werden hintergangen. Der Staat hat versagt“, kritisierte jetzt Anwalt Rainer Geulen die Einstellung des Eschede-Strafverfahrens.

Dabei hatten die Hinterbliebenen doch selbst erklärt, dass nach ihrer Ansicht die falschen Personen auf der Anklagebank sitzen. Statt der drei angeklagten Ingenieure hätte der Bahn-Vorstand dorthin gehört. Ist eine Einstellung dann nicht konsequent, zumal sie wegen der auferlegten Geldbuße ja auch kein Freispruch ist? Dass Geulen jetzt noch das Bundesverfassungsgericht bemühen will, passt nur ins Bild. Die absehbare Niederlage in Karlsruhe wird er sicher auch entsprechend brandmarken.

Dabei ist der Strafprozess ja nur die Begleitmusik zu den Schmerzensgeldforderungen, bei denen 125.000 Euro pro Eschede-Opfer verlangt werden – ein Vielfaches dessen, was in der deutschen Rechtspraxis üblich ist und von der Bahn unbürokratisch zugestanden wurde. Den Prozess will Geulen – nachdem er im Herbst vor dem Landgericht Berlin scheiterte – jetzt in den USA führen. Mit dem ebenso medienorientierten US-Anwalt Ed Fagan an seiner Seite ist Spektakel garantiert. Die Hinterbliebenen können sichergehen, dass sie in den nächsten Jahren nicht zur Ruhe kommen – bei äußerst unsicherem Ausgang des Verfahrens.

Andererseits: Es zwingt sie auch niemand dazu, hierbei mitzumachen. CHRISTIAN RATH