DIE ACHSE DER REISSUES – JULIAN WEBER :
Preiset diese Dame für ihre Songs!
Die Folksängerin Sachiko Kanenobu hat als erste Japanerin überhaupt eigene Songs aufgenommen. Dank Haruomi Hosono, der später mit dem Yellow Magic Orchestra berühmt werden sollte und die japanische Popszene Anfang der Siebziger maßgeblich beeinflusste. Mit Hosonos Hilfe nahm sie 1971 in Tokio ihr Debüt „Misora“ (etwa „schöner Himmel“) auf.
Die elf psychedelischen Folksongs weichen auf subtile Art von der Songwriternorm jener Zeit ab. Kanenobus Stimme verströmt naive Freude und Aufbruchstimmung, hangelt sich traumwandlerisch entlang der Akkorde ihrer einsamen blinkernden akustischen Gitarre. Hosono hat sie in transparente Arrangements eingebettet. Gelegentlich blitzt ein countryfiziertes Bandkorsett auf, meist leben die Songs aber durch Aussparung. Wer weiß, wie ihre Karriere verlaufen wäre, hätte Kanenobu 1972 nicht den amerikanischen Musikjournalisten Paul Williams kennengelernt, ihm zuliebe die Gitarre an den Nagel gehängt und Japan Richtung Kalifornien verlassen. Ein Freund der Familie, der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick, überredete Kanenobu 1981, die Gitarre wieder in die Hand zu nehmen, und produzierte mit ihr eine Single. Pläne für ein Album wurden durch Dicks Tod zunichte gemacht.
Sachiko Kanenobu „Misora“ (www.chaptermusic.com.au)
Lobet den Herrn mit hellen Zimbeln!
Popmusik entstand, als „Jesus“ aus den Texten von Spirituals durch „Girl“ ersetzt wurde, die unterschiedlichen Ausprägungen afroamerikanischer Gospelmusik grooven ohnehin ziemlich nah am irdischen Alltag von R & B. Und doch erstaunen die Songs von „Good God! A Gospel Funk Hymnal“. Sie stellt eine Verbindung her zwischen Gospel und Funk, jenem Musikgenre vom Ende der Bürgerrechtsära, das die Zustände in den Innenstädten und in Vietnam in eine neue Dringlichkeit überführte.
Wenn die Gospel Comforters aus Chicago inmitten heftigsten Breakbeatgewitters und Bassschmatzens „get down to Jesus“ skandieren, ganz entsprechend dem Anlass, klingt das fundamental anders als das demütige Nach-oben-Blicken zum Heiland, in der Hoffnung auf Erlösung. Bei aller wütenden Euphorie bleibt „Good God!“ freilich eine Momentaufnahme. Die 18 Songs, meist aus den Metropolen des amerikanischen Nordens und allesamt aus den frühen Siebzigern, bevor die religiösen Botschaften ab 1977 musikalisch konservativer ausgeschmückt wurden. Legte man die Songs an einem beliebigen Funkabend in einem Club auf, sie würden wie eine Bombe einschlagen. „Lobet den Herrn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln.“ (Psalm 150:5)
„Good God! A Gospel Funk Hymnal“ (www.numerogroup.com)
Und gehet in Frieden zur Disco-Messe!
Im Sommer tauchte der Song „The Professor here“ von Gary Davis auf einem DJ-Mix von Kieran Hebden auf. Das war Garagendisco, knapp vor der Verkehrsuntüchtigkeit, mit einem 4-to-the-Floor-Beat aus Pappe und spuckehaltigem braggin and boastin. Der Vortragende „The Professor here“ gibt sich als geistige Kapazität zu erkennen, der die Party durch seine Weisheit rockt.
Originale von Gary Davis sind heute unbezahlbar, gut, dass nun weiteres Songmaterial erhältlich ist. Ob der Professor selbst damit zu tun hat, konnte nicht ergründet werden. Die Musik lernte Davis von seinem Onkel, dem Organisten Richard „Groove“ Holmes. In Erscheinung trat Davis erst in den späten Siebzigern. Er war Teil des Songwritingteams um Patrick Adams und Peter Brown. Ihre eleganten Clubtracks gaben dem Heimweg von Downtown Manhattan nach Harlem eine soulige Note. Die Songs von Gary Davis sind am krudesten. Stets auf den minimalistischen Drumbeat aufgebaut, schlagen sie die Brücke von Disco zu Hiphop und schmiegen sich selbst als Ballade rau an den Mann und die Frau. Nicht nur, weil gelegentlich eine Drummaschine funzt und Davis’ Gesang im Uptempo in Rap verfällt, ist das hier die Musik für eine Blockparty, bei der Joints gerollt werden und keine Teppiche.
Chocolate Star „The very best of Gary Davis“ (www.chocolatestar.net)