■ DFB-Pokal: Die Verwirrung des schlichten Kapitäns
Mönchengladbach (taz) – An schwachsinnigen Sprichworten mangelt's bekanntermaßen nicht und nirgends. Eine der gefürchtetsten Phrasen hat man im DFB-Pokal-Viertelfinale zwischen Borussia Mönchengladbach und Schalke 04 am Mittwoch Wirklichkeit werden sehen: „Alte Liebe rostet nicht.“ Gladbachs an sich zuverlässiger Kapitän Klinkert nämlich traf schon nach zwei Minuten das Tor – da es das eigene war, brachte er mit seinem Kunstschuß nicht seinen momentanen, sondern seinen ehemaligen Arbeitgeber mit 1:0 in Führung. Irgendwie muß ein Mann eher schlichten Gemüts bei diesen ständigen Vereinswechseln wohl durcheinanderkommen. Als sich die Grün-Weißen und die Blau- Weißen 1988 letztmals auf dem Weg zum „Pott“ duellierten, trug Klinkert noch das Schalker Kostüm. Drei Jahre später ging er im Gladbacher Gewand auf Punktejagd – beim 1:3 in Gelsenkirchen verteilte der Vorstopper mit einem regulären Treffer und einem Eigentor seine Sympathien gleichmäßig auf Ex-Klub und Neu-Verein. Als sich des Spielers unbewältigte Schalke-Vergangenheit nun erneut zu offenbaren schien, als der kantige Kämpfer nach dem ersten Eigentor noch ein zweites zu fabrizieren und dann Nemec torverdächtig umzumähen gedachte, machte Gladbachs Trainer Krauss dem Psycho-Dilemma und Klinkerts Einsatz zur Pause ein Ende.
Zu diesem Zeitpunkt hatten der überragende Däne Nielsen und der wie ein wiedergeborener Wimmer wirbelnde Wynhoff seine Panne mit zwei Toren behoben, Kastenmaier mit einem 30-Meter- Freistoß die Latte rasiert und Schalke-Coach Berger dem Mann an der Seite Feigheit attestiert. „Wenn der Linienrichter nicht den Mut hat, die Fahne zu heben“, lamentierte er über dessen Null-Reaktion auf Klinkerts platzverweisreife Notbremse, „dann sollte er eine andere Art der Freizeitgestaltung wählen.“
Die Schalker wählten angesichts des knappen Rückstands die für eine angestrebte Berlinfahrt notwendige Offensive, die Borussen hielten tapfer dagegen. Resultat war ein Pokalspiel, das in puncto Dramatik an die legendären Halbfinals von 1984 erinnerte: Borussia besiegte seinerzeit Bremen mit 5:4, Zweitligist Schalke trotzte den Bayern ein erstaunliches 6:6 ab, wobei der spätere Bayer und heutige Erneut-Schalker Olaf Thon dreimal traf. Diesmal ging er trotz zahlreicher Versuche leer aus. Genau daran aber lag's letztlich, daß die Mannschaft, die den Sieg verdient gehabt hätte, den Platz doch als Verliererin verließ. Nemec, Latal und der formidable Scherr spielten mit den Borussen zeitweise „Eins, zwei, drei – Wer hat den Ball?“ – doch die fürs Toreschießen vorgesehenen Mulder und Kohn versiebten auch die besten Möglichkeiten. Herrlich ist da anders: Eine einzige Großchance nutzt der vielleicht beste Kopfballspieler der Liga zum Gladbacher Siegtreffer.
Im Halbfinale trifft Gladbach nun auf Kaiserslautern – und erneut besteht für die Borussia höchste Alarmbereitschaft. Am Betzenberg nämlich war einst Klinkert- Ersatz Joachim Stadler zu Hause – seine nicht erloschene Liebe den roten Teufeln hat er im Pokal- Achtelfinale 1993 bereits nachdrücklich unter Beweis gestellt. Wie? Mit einem Eigentor in der zweiten Minute natürlich...Holger Jenrich
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