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Archiv-Artikel

DEUTSCHE KÜCHE Verrat an der Bratwurst

Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht: Bis zu seinem Tod im hohen Alter blieb der niedersächsische Gemüsehändler, Jahrgang 1897, seinem Lebensmotto treu. Kartoffeln, Eintopf, Leberwurst, Kotelett – nur das war richtiges Essen. Besuche in exotischen Restaurants, die von den 60er-Jahren an allmählich den Markt eroberten, verfolgte er misstrauisch und verständnislos. Aus sicherer Entfernung. Er war und blieb ein Küchen-Patriot.

Allerdings innerhalb enger Grenzen. Neuen Raum wollte er nicht erobern; in kulinarischer Hinsicht endete Deutschland für ihn an der Main-Linie. Spätzle und Knödel, die der 1929 geborene Sohn später im Süden lieben lernte, blieben ihm zeitlebens so fremd wie Frühlingsrolle und Peking-Ente. Anders die Enkelin, Jahrgang 1956. Sie hielt sogar Spaghetti und Pizza von frühester Kindheit an für heimische Gerichte.

Vaterlandsverrat? Oder ein Hinweis darauf, dass die Jugend europäisch denkt? Sollte das so sein, dann kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Türkei in die EU gehört. Die 17-jährige Urenkelin schätzt jedenfalls Döner weit höher als Bratwurst. Wenn das der alte Niedersachse noch erlebt hätte.

Er hätte es wohl gutmütig lachend zur Kenntnis genommen. Vielleicht ist keine andere Form der Heimatliebe ebenso tief verwurzelt und zugleich so friedlich wie die kulinarische. Satte Leute streiten ungern. Gefahr droht in diesem Zusammenhang von anderer Seite – nämlich von den Köchen und Köchinnen. Schon die Mutter von Heinrich Heine nahm ein köstliches Mahl zum Anlass für die lauernde Frage an ihren Sohn, wo es sich denn wohl besser leben ließe: in Deutschland oder in Frankreich? Und welches Volk er bevorzuge? Der Dichter rang um Worte:

Die deutsche Gans, lieb Mütterlein, Ist gut, jedoch die Franzosen, Sie stopfen die Gänse besser als wir, Auch haben sie bessere Saucen.

Das stimmt so nicht mehr. Die Deutschen haben von den Franzosen einiges gelernt. Seither kann man zumindest eines mühelos sein: ein deutscher Gänse-Patriot. Das ist doch was.

BETTINA GAUS