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Archiv-Artikel

DER VERKORKSTE ABSTIMMUNGSPROZESS SCHADET DER EU-VERFASSUNG Angst vor der Angst

Schön, wenn sich alle so einig sind. Barroso, Borrell und Juncker – alle Präsidenten, die die Europäische Union aufzubieten hat – sendeten aus Brüssel die eine Botschaft in die Welt: Wir sprechen mit einer Stimme. Die Verfassung wird weder in den Papierkorb getreten noch umgeschrieben. Wir brauchen nur ein bisschen mehr Zeit, um ihre Vorzüge den Menschen besser zu erklären. Wenig später meldeten die Presseagenturen aus den Hauptstädten Europas, wie diese Brüsseler Einigkeit vor Ort umgesetzt wird: Dänemark verschiebt sein Referendum auf unbestimmte Zeit, Finnland und Schweden setzen die Ratifizierung im Parlament aus. Polen dagegen wird sein Volk noch in diesem Jahr befragen. Luxemburgs Premier Juncker hatte schon in der Nacht erklärt, die Volksbefragung in seinem Land finde wie geplant am 10. Juli statt.

Es gibt gute Gründe, auf dem einmal festgezurrten Zeitplan zu beharren. Die Spanier haben der Verfassung mit großer Mehrheit zugestimmt, die Franzosen und Niederländer haben nein gesagt. Hätte ein spanisches Nein auch dazu geführt, dass Europa den Atem anhält? Wohl kaum.

Eine Denkpause nährt den hässlichen Verdacht, dass Europas Kern- und Gründerland Frankreich mehr zählt als der Randstaat Spanien, der immerhin nun auch schon seit zwanzig Jahren zur Union gehört. Die meisten Regierungschefs haben anders entschieden. Umfragen zeigen, dass sich die Wut auf Europa ausbreitet und auch in Dänemark und Polen das Lager der Verfassungsbefürworter schrumpft. Deshalb haben alle Angst vor einer Nein-Spirale. Die Denkpause wollen sie den Bürgern natürlich nicht als Symbol der Ratlosigkeit, sondern als Symbol der Geschlossenheit verkaufen.

Wie aber soll eine europaweite Verfassungsdebatte geführt werden, wenn einige Länder noch in diesem Jahr abstimmen werden und andere auf absehbare Zeit nicht? Eine solche Debatte wäre vielleicht entstanden, wenn die Regierungen, die noch nicht ratifiziert haben, sich auf einen gemeinsamen Tag geeinigt hätten, um je nach Verfassungslage das Volk oder das Parlament zu befragen. Doch sogar dazu fehlt ihnen die Kraft. Daniela Weingärtner