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Archiv-Artikel

DER TARIFVERTRAG FÜR ÄRZTE VERSCHÄRFT DIE KLASSENUNTERSCHIEDE Jenseits der Weißkittelromantik

Alle sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen. Mit welchem Recht eigentlich? Die tarifliche Einigung für die Ärzte an den kommunalen Kliniken wirft Verteilungsfragen auf, die in dieser Schärfe noch in kaum einem Tarifstreit so deutlich zutage getreten sind.

Die Mediziner an den kommunalen Krankenhäusern bekommen bis zu 13 Prozent mehr Gehalt. Solche Steigerungen sind für Krankenschwestern und -pfleger kaum erreichbar. Es gibt im Gesundheitswesen keine branchenweite Solidarität der Beschäftigten mehr, wie sie in den früheren Tarifabschlüssen noch transportiert wurde. Man stelle sich vor, in der Metallindustrie geschähe Ähnliches: Die IT-Ingenieure holten über eine eigene Kleingewerkschaft prozentual hohe Gehaltssteigerungen heraus, die den Facharbeitern am Band nicht möglich sind, weil sie austauschbarer sind – und somit schwächer.

Die hohen Prozentzahlen dieses Abschlusses lassen also bei manchen anderen Beschäftigtengruppen sicher einen faden Geschmack zurück. Aber die Einigung für die Mediziner bedeutet auch: Die ausbeuterischen Strukturen in Kliniken, unter denen gerade auch Jungärzte leiden, werden künftig wohl hier und da verändert. Denn jenseits der alten Weißkittelromantik traten die Klinikärzte in diesem Arbeitskampf erstmals als Angestellte auf Lebenszeit auf, die sich gegen Jobbedingungen wehren, unter denen in einigen Krankenhäusern Überstunden nicht bezahlt und endlose Bereitschaftsdienste verlangt werden. Den Berufseinsteigern geht es besser mit dem neuen Tarifvertrag. Und die Arbeitszeiten sollen durch die Einigung tatsächlich transparenter und messbarer werden – ein Hauptverdienst des Beschlusses.

Dass die Kliniken durch die Kostensteigerungen möglicherweise weiter Personal abbauen, dass vielleicht sogar Hospitäler schließen müssen, dass Krankenhäuser aus dem Arbeitgeberverband austreten wollen, um der Tarifbindung zu ergehen – all das gibt es im normalen Tarifgeschäft der Privatwirtschaft auch, etwa in der Metallindustrie. Wichtig ist: Klinikarzt ist jetzt ein Beruf wie jeder andere. Es gibt keine moralische Überhöhung mehr. Das ist doch okay. BARBARA DRIBBUSCH