DER IRAK BRAUCHT EINE UN-TRUPPE, ABER DERZEIT KEINEN US-ABZUG : Der Terror nützt der Bush-Regierung
Müssen die US-Truppen im Irak bleiben, um den Zerfall des Landes zu verhindern? Bei dieser Frage handelt es sich zunächst um ein Scheinproblem. Dafür, dass US-Präsident Bush seine Truppen aus dem Irak abziehen will, gibt es keine Anzeichen. Die Angst vor dem Zerfall und dem Chaos hat dafür gesorgt, dass die US-Besatzungsmacht tatsächlich ein Stabilitätsfaktor geworden ist. Genau aus diesem Grund ist dieses Chaos – so zynisch das auch klingen mag – handfester Bestandteil der US-Irakpolitik. Dessen Verwaltung ist aus der Sicht der US-Strategen eine „Investition in die Zukunft“. Nichts wäre politisch falscher, als in diese Falle der US-Regierung zu tappen.
Indes liefert diese Perspektive keineswegs eine Garantie dafür, dass die Situation sich zum Besseren wendet. Das Misstrauen der Iraker untereinander und vor allem gegen die Besatzungsmacht, aber auch die Ungewissheit der eigenen Zukunft ist der Nährstoff für das Wüten von Saddam-Anhängern und Islamisten. Deshalb müssen die Amerikaner den Irak so bald wie möglich verlassen, statt durch ihr Verbleiben die Lage zu verschärfen und auch einen Zerfall des Irak zu fördern. Ein Abzug der US-Truppen müsste allerdings einhergehen mit dem Aufbau einer UN-Truppe, die aus den Armeen islamischer Länder (etwa Bangladesch, Jordanien, Ägypten etc.) und einiger europäischer Länder (etwa Norwegen, Schweden, aber auch Deutschland und Frankreich) zusammengesetzt wäre. Diese UN-Armee hätte sicher keine so schlagkräftige Struktur wie die der US-Armee. Darauf kommt es im Irak aber nicht an.
Viel wichtiger ist, dass das allgemeine Misstrauen verschwindet und die Iraker die Gewissheit bekommen, dass nicht eine Besatzungsmacht mit handfesten Eigeninteressen, sondern eine international legitimierte Ordnungsmacht über den Irak wacht. Dann müsste die Grundlegung eines Staates mit hochkomplexen ethnosozialen Strukturen nicht unter massivem Termindruck stattfinden. Eine tragfähige Verfassung braucht Zeit.
MOHSSEN MASSARRAT
Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft in Osnabrück