DER ANTISEMITISCHE KOMIKER UND SEIN AUFTRITTSVERBOT : Komischer Knödelgruß
VON RUDOLF BALMER
Es hat etwas Verzweifeltes, wenn die französische Regierung mit behördlichen Verfügungen gegen einen Komiker vorgeht. Innenminister Manuel Valls hat mit Zustimmung von Präsident Hollande und im Namen der Republik gegen Dieudonné ein Auftrittsverbot verfügt. Dass Valls zu diesem Mittel griff, zeigt vor allem, wie brüchig, wenn nicht gar illusorisch der gesellschaftliche „Pakt“ ist, auf den sich die Obrigkeit gern in der Tradition von Rousseau beruft.
In der Debatte über das Auftrittsverbot geht es weniger um den in rechtsradikale Sumpfgebiete verirrten „Humoristen“, als vielmehr um sein Publikum. Dass sich Tausende in seinem Pariser Kabarett und Millionen via Internet an Scherzen ergötzen, die nichts anderes als plumpe antijüdische Hetze sind, macht stutzig in einem Land, das sich als Wiege der Aufklärungsphilosophie betrachtet. Die Ernüchterung ist groß bei den Medien und in der Politik, wo man offensichtlich noch immer dachte, die Grundwerte der Republik seien ein von allen verehrtes Kulturgut. Der Antirassismus sollte als Lehre aus der Geschichte der Sklaverei, des Kolonialismus und der Barbarei des Zweiten Weltkriegs zu diesem ethischen Konsens gehören – wollte man glauben. Die Affäre Dieudonné hat gezeigt, dass dem nicht so ist.
In den Stellungnahmen aus verschiedenen Milieus kommt immer wieder ein an Hass grenzender Ärger darüber zum Ausdruck, dass in Frankreich so viel vom Holocaust gesprochen werde. Dieudonné nannte das „Gedenk-Pornografie“.
Die Frage der antisemitischen Ressentiments und die Geschichte der Verfolgung wird dabei nicht als Angelegenheit aller betrachtet, sondern als Klage einer nachtragenden jüdischen Gemeinschaft, die das Thema wie ein Argument in einem Interessenkonflikt gegen andere Gemeinschaften einsetze. Dieser „neue“ Antisemitismus hat in der Banlieue als Projektion des Nahostkonflikts begonnen. Wer selbst im Abseits steht, identifiziert sich auch mit dem offiziell und von der intellektuellen „Elite“ geächteten Lästermaul.
Heute steht hinter Dieudonné, der aus seiner Nähe zu Rechtsradikalen kein Geheimnis macht, ein Konglomerat aus Rechtsextremisten und „Libertären“, die meinen, mit billigem Spott über ein „Tabu“ wie das Schoah-Gedenken werde das „System“ infrage gestellt. Schockierend ist, dass Banlieue-Jugendliche nicht begreifen, dass die Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind, dieselben ideologischen Wurzeln haben wie die antisemitischen „Witze“ von Dieudonné, über die sie sich auf die Schenkel klopfen und den vermeintlichen „Knödelgruß“ gegen das „System“ und die „Elite“ machen. Wenn das lustig sein soll, ist Frankreichs Zustand sehr ernst.