DEN HAAG STÄRKT DEN LIBERALEN KRÄFTEN IN ISRAEL DEN RÜCKEN : Ein Umdenken hat schon begonnen
Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Haag ist rechtlich nicht bindend – entsprechend reagiert die israelische Regierung. Sie nimmt das Rechtsgutachten zur Kenntnis, abreißen wird sie die bisher errichteten Teile der Sperranlage nicht. Nichts anderes war zu erwarten. Schließlich hat sich Israel noch nie vom Ausland unmittelbar unter Druck setzen lassen.
Das in Haag erstellte Rechtsgutachten, das die israelische Motivation für den Bau des Sperrwalls ignoriert, könnte diese Skepsis gegenüber internationalem Druck weiter nähren. Denn die Richter vertreten mit ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Trennanlagen die Maximalposition der palästinensischen Führung und gehen mit ihrer Kritik deutlich weiter als die USA und Europa, ja sogar weiter als zahlreiche Palästinenser, die vor den Obersten Gerichtshof ziehen, um eine Verlegung der Baustrecke zu erreichen, weil ihre Ländereien oder ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Wo Sperranlagen unmittelbar an der Waffenstillstandslinie verlaufen, formiert sich kein Protest.
Es gibt gute Gründe für die in Israel weit verbreitete Haltung, dass die Frage der Trennanlagen nicht von dritter Seite geregelt werden muss. So zeugen die jüngsten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Jerusalem, der das Verteidigungsministerium zur Verlegung großer Strecken der ursprünglichen Sperrwallroute verpflichtet, davon, dass Israel durchaus in der Lage zu einer unabhängigen Rechtsprechung in dieser Sache ist.
Der offiziellen Ablehnung des Haager Rechtsgutachtens ungeachtet wird natürlich auch in Jerusalem wahrgenommen, dass die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs auf die öffentliche Meinung wirken wird. Aus Furcht vor einem Absacken des israelischen Images in „südafrikanische Ausmaße“ hatte Justizminister Tommi Lapid schon im Vorfeld der Anhörung ein Umdenken der Regierung hinsichtlich der Sperranlagen angeregt. Das Haager Rechtsgutachten gibt ihm und anderen liberalen Kräften im Land, die sich um die Menschenrechte in den besetzten Gebieten sorgen, klare Rückendeckung. SUSANNE KNAUL