DEM ZUWANDERUNGSGESETZ KANN EINE „GROSSE KOALITION“ NUR SCHADEN : Besser gar nicht als schlecht
Seit den Landtagswahlen vom Sonntag setzt sich eine schlichte Einsicht durch. Wenn überhaupt noch etwas vorangehen soll, dann müssten sich Regierung und Opposition irgendwie zusammenraufen. Dieser Forderung könne sich niemand mehr entziehen. Wer jetzt also nicht als Blockierer dastehen möchte, betont den Willen zum Konsens. Plötzlich sind alle bereit, über alles zu reden. Wie ernst gemeint diese Bereitschaft ist, muss sich erst zeigen. Bei der Zuwanderung aber ist der neue Trend zur ganz großen Koalition gefährlich. Denn was bei der Gesundheits- oder Arbeitsmarktreform manchmal zu Recht beklagt wird, fehlt hier völlig: eine starke Lobby, die sich für die Betroffenen einmischt.
Wenn SPD und Union wollen, könnten sie sich über das Zuwanderungsgesetz schnell einig werden. Ein bisschen flexiblere Regelungen für die Wirtschaft, damit ein paar hoch qualifizierte Experten leichter kommen können. Das reicht. Der Rest kann weg. An einer humanen und zukunftsweisenden Einwanderungspolitik haben beide Volksparteien kein Interesse. Bei bald fünf Millionen Arbeitslosen schon erst recht nicht. Die irrationale Angst vor ausländischer Konkurrenz ist unter potenziellen SPD-Wählern mindestens so weit verbreitet wie in der Klientel der Union.
Da können alle Experten noch so oft betonen, dass Deutschland aus demografischen Gründen Zuwanderer braucht. Solch langfristige Überlegungen haben den Kanzler noch nie bewegt. Wichtig war ihm die Zuwanderung nur, als der Streit darum zum Machtkampf mit dem Kandidaten Stoiber hochstilisiert wurde. Und was will Innenminister Otto Schily? Ein Gesetz, das seinen Namen trägt. Was sonst sollte später in den Geschichtsbüchern über seine Amtszeit stehen? Schily und Schröder wären deshalb sofort bereit, die Forderungen der Union zu erfüllen. Hauptsache, irgendeine Reform.
So sind es wieder einmal die Grünen, die vor einem Dilemma stehen. Sagen sie Nein, gibt es Ärger mit der SPD, und das Prestigeprojekt Zuwanderungsgesetz ist tot. Sagen sie Ja zu einem Gesetz, das Schily mit der Union aushandelt, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Denn der Preis wäre ein Zuwanderungsgesetz, das schlechter ist als gar keins. Und doch gibt es eine Lösung: Die Klügeren geben nach, verzichten auf das Zuwanderungsgesetz und kümmern sich endlich darum, was unmittelbar ansteht: Mehr Geld für die Integration muss her! Das durchzusetzen wäre wichtiger als ein Zuwanderungsgesetz, das mehr Schaden anrichtet als nutzt. LUKAS WALLRAFF