DEM IRAK DROHT DIE TEILUNG. DIE USA KÖNNEN DAS NICHT VERHINDERN : Regierung ohne Rückhalt
Dreieinhalb Jahre nach dem Sturz des Saddam-Regimes scheint die Saat des Terroristenführers Abu Mussab al-Sarkawi aufgegangen zu sein. Angetrieben von tiefem Hass wollte der Chef der al-Qaida im Irak die Schiiten in einen Krieg mit den Sunniten treiben. Dazu hat er einen Feldzug von Selbstmordattentätern und Autobombern losgetreten, wie ihn die Geschichte bislang nicht gesehen hat.
Nach Tausenden von Toten schickten die Schiiten schließlich ihre eigenen Todeskommandos los. Schiitische Milizen machen mittlerweile vor allem die Hauptstadt ebenso unsicher wie der Bombenterror der Dschihad-Krieger. Von Monat zu Monat steigt seitdem die Zahl der Todesopfer. Allein in Bagdad hat die Gewalt im Juli mehr Tote gefordert als der Krieg im Libanon.
Doch sie sind längst nicht die einzigen, die das Land nach und nach in den Ruin treiben. Nachdem das ehemalige Regime vor dreieinhalb Jahren einfach abgetaucht ist, haben sich seine Anhänger längst wieder im Untergrund reorganisiert. Insofern tobt im Irak derzeit auch ein Kampf zwischen den alten und neuen Machthabern. Dieser hatte auch schon früher ethnischen Charakter – vor allem Schiiten und Kurden waren die Opfer des Regimes, während die Sunniten das Rückgrat der Machtelite bildeten.
Fatal für die Regierung ist freilich, dass der Aufbau einer zuverlässigen Polizei bislang kläglich gescheitert ist. Statt als Schutz vor Übergriffen nehmen sie viele Bürger als das eigentliche Übel wahr. Nicht allein, dass ihre Loyalität gegenüber den Milizen stärker ist als gegenüber der Regierung, Polizisten sind an Kidnapping beinahe genauso stark beteiligt wie kriminelle Banden oder Untergrundgruppen. Selbst bei den hartgesottensten Befürwortern der angloamerikanischen Strategie ist der Optimismus über die Lage im Zweistromland verflogen. Kaum noch einer führt heute die Dominotheorie ins Feld, wonach ein demokratischer Irak seine Strahlkraft auf dem gesamten Nahen Osten entfalten sollte.
Hatten zu Beginn sich die Regime in Syrien und Iran noch von der Militärmacht Amerikas beeindrucken lassen, schüren sie heute ihrerseits den Schwelbrand im Irak. Dabei kann vor allem Teheran auf seine engen Verbindungen mit den schiitischen Parteien bauen, die früher im Iran Zuflucht gefunden hatten und deren Kämpfer dort ausgebildet wurden. Nicht Washington hat heute das Heft im Irak in der Hand, sondern Teheran. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.
Vor seiner Reise nach London und Washington hatte Ministerpräsident Nuri al-Maliki einen denkwürdigen Auftritt vor dem irakischen Parlament. Wutentbrannt herrschte er die Abgeordneten an, endlich ihre Reihen hinter der Regierung zu schließen. Der Erfolg oder Misserfolg seiner Regierung hänge allein von ihrem Zutun ab. Genau hierin liegt das eigentliche Dilemma. Eine Regierung der nationalen Einheit sei heute im Amt, die alle Konfessionen und Ethnien des Landes einschließe, heißt es. Tatsächlich ist das Kabinett aber eher eine Versammlung von verschiedenen Fraktionen, wo jede ihre eigene Zielsetzung verfolgt. Maliki steht dabei auf beinahe verlorenem Posten.
Mit seiner Versöhnungsinitiative versucht er den Prozess der Einbindung sowohl der Sunniten als auch der verschiedenen schiitischen Fraktionen seines eigenen Bündnisses voranzubringen. Bislang ohne sichtbaren Erfolg. Dabei sind in der Regierung neben radikalen Schiiten auch sunnitische Extremisten und Ex-Baathisten vertreten. Wie die Hisbollah im Libanon oder die Hamas in Palästina verfügen sie über ihre bewaffneten Arme. Wie diese wollen sie aber Regierung und Opposition gleichzeitig sein.
Angesichts der Unvereinbarkeit der Fraktionen, plädieren mittlerweile viele für eine Teilung des Irak in einen schiitischen und sunnitischen Teilstaat. So wie den kurdischen im Norden. Dabei wird freilich gerne übersehen, dass davon rund die Hälfte der irakischen Bevölkerung betroffen wäre. Allein in Bagdad lebt ein Viertel der Iraker.
Um die Lage in Bagdad in den Griff zu bekommen, haben die Amerikaner mit der Verlegung von zusätzlichen Truppen in die Hauptstadt begonnen. Die Hoffnung ist, dass die Bereitschaft zu Kompromisslösungen auf allen Seiten steigt, wenn sich die Sicherheitslage in der Hauptstadt bessert. Doch viel Zeit haben sie dazu nicht, das wissen die US-Kommandeure. Am Ende liegt es an den irakischen Politikern, einen neuen Pakt für die Stabilisierung des Landes zu schließen. INGA ROGG