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Archiv-Artikel

DEM DEUTSCHEN-RICHTERBUND-CHEF SIND DIE MASSSTÄBE VERRUTSCHT Folter muss tabu bleiben

Geert Mackenroth ist zu Recht unter Druck geraten. Fast im Alleingang hat der Vorsitzende des Richterbundes die Frage hoffähig gemacht, ob Folter in Ausnahmefällen nicht doch erlaubt sei. In mehreren Interviews vertrat er die Ansicht, dass das Folterverbot zwar „im Prinzip“ gelte, in Ausnahmefällen könne der „Einsatz von Gewalt zur Rettung höherwertiger Rechtsgüter“ jedoch „erlaubt“ sein.

Ausgerechnet der Repräsentant der deutschen Richterschaft stellt hier mit einer an Naivität grenzenden Unbekümmertheit die umfassende Geltung des Folterverbots in Frage. So etwas hätte man vielleicht vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein erwartet – nicht aber vom Deutschen Richterbund, der in den letzten Jahren stets mäßigend die aufgewühlte Sicherheitsdebatte begleitet hat. Da konnte in der Öffentlichkeit leicht der Eindruck entstehen: Wenn es sogar diese Richter diskutabel finden, dann muss man wohl mal ein Auge zudrücken.

Aus der Diskussion eines tragischen Einzelfalles wurde so plötzlich eine Grundsatzdiskussion. Schon fordert der Bund Deutscher Kriminalbeamter eine Klarstellung im Strafgesetzbuch, damit folternde Beamten – natürlich nur im Einzelfall – Rechtssicherheit haben.

Man mag Mackenroth zugute halten, dass er sich vielleicht zu sehr als individueller Richter gesehen hat, der sich nun ein persönliches Urteil über bestimmte Frankfurter Polizeibeamte bilden muss. Dass der Chef des Richterbundes vielleicht deshalb so einfühlsam beschrieb, in welch „fürchterlichem Gewissenskonflikt“ sich die Beamten befanden und wie schwer es sei, hier die richtige Entscheidung zu treffen.

Auf der anderen Seite kennt Geert Mackenroth aber auch den Unterschied zwischen Gerichtssaal und Fernsehstudio. Er ist eben kein engagierter Amtsrichter, der sich mit der Rolle als Verbandsvorsitzender noch etwas schwer tut, sondern ein erfahrener Justizpolitiker, der schon als CDU-Justizminister in Schleswig-Holstein vorgesehen war. Es besteht also tatsächlich die Gefahr, dass er versucht, die Richterschaft in die Front der Kriminalitäts-„Bekämpfer“ einzureihen, für die vor allem der Erfolg, aber nicht die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zählt.

Wenn aber Folter erst mal ein denkbares Mittel ist, dann kann man sich leicht vorstellen, wie sich die Stimmung in Aufsehen erregenden Kriminalfällen entwickeln würde. Bald müssen sich dann die Polizisten rechtfertigen, die nicht bereit sind, den „erforderlichen“ Druck auf einen Verdächtigen auszuüben. Und wie sollen sie sich verteidigen, wenn das Folterverbot nicht mehr absolut gilt?

Rechtsstaatliche Folter – das ist und bleibt ein Paradoxon. Was hätten die Polizisten denn getan, wenn der Erpresser nicht auf ihre Drohungen reagiert hätte? Schläge ins Gesicht oder in den Magen? Und wenn auch das nichts geholfen hätte: Elektroschocks? Wenn die Rettung eines Menschenlebens Folter rechtfertigt, warum dann nicht auch brutale Folter? Oder die Folter der Mutter des Erpressers? Muss man nicht alles versuchen, um den Mann zum Sprechen zu bringen, wenn es darum geht, ein Menschenleben zu retten?

Nein. Eine zivilisierte Gesellschaft muss es hinnehmen, dass Probleme, die nur mit Hilfe von Folter zu lösen wären, eben nicht lösbar sind, so tragisch das im Einzelfall auch ist. Genau diesen Hinweis hätte man von Geert Mackenroth erwartet. Das Folterverbot ist eben keine bürokratische Ordnungsvorschrift, die man im Extremfall schon mal beiseite lassen kann. Es ist im Gegenteil eine unverrückbare Grundnorm – und zwar nicht nur in Deutschland mit seiner besonderen Geschichte, sondern weltweit.

„Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden“. So sagt es das Anti-Folter-Übereinkommen der Vereinten Nationen. Wenn also nicht einmal ein Krieg die Folter rechtfertigen kann, dann sollte es ein tragischer Entführungsfall erst recht nicht können. Mackenroth sind völlig die Maßstäbe verrutscht. CHRISTIAN RATH