DEBATTE: Der Nahe Osten ist nicht zur ewigen Unruhe verdammt
■ Die Existenz von Palästinenserlagern in den arabischen Ländern und die israelische Besetzung der Westbank vergiften die gesamte Region
Die Gebiete im Westen der irakischen Wüste, die mit H2 und H3 bezeichnet werden und von denen aus die Scud-Geschosse gegen Israel abgefeuert wurden, beunruhigen uns. Doch H2 und H3 waren in einer noch nicht weit zurückliegenden Zeit bloß Markierungen auf der alten Pipeline, die den Hafen von Haifa mit irakischem Erdöl versorgte. Es scheint also, daß der mysteriöse Buchstabe H tatsächlich das Initial des israelischen Hafens von Haifa ist.
Es liegt also ein tiefer Graben zwischen der friedlichen Bedeutung dieser Markierungen auf der alten internationalen Pipeline, die die Grenzen in aller Ruhe und Sicherheit überquerte und längs derer die ockerfarbenen Kamelkarawanen dahinzogen, und den bedrohlichen Raketen von heute. Paradoxerweise birgt dieser Graben, der von der schrecklichen Entwicklung des Nahen Ostens in den letzten Jahren zeugt, eine große Hoffnung für die Zukunft in sich.
Die gesamte Region muß politisch entgiftet werden
Der Nahe Osten ist nicht unweigerlich ein Ort ewiger Auseinandersetzungen. Genauso wie Europa, das in der Vergangenheit Konflikte gekannt hat, bei denen es zu Akten schlimmster Barbarei gekommen ist, ein Ort der Zusammenarbeit und Harmonie geworden ist, kann auch der Nahe Osten eine gewisse Ruhe erlangen. Dafür aber ist es unabdingbar, daß die europäischen Länder und die Vereinigten Staaten (und in bescheidenerem Ausmaß auch die Sowjetunion) für den Wiederaufbau der Region genausoviel Energie aufbringen, wie sie in den Golfkrieg gesteckt haben. Diese Länder verfügen heute über die Mittel dazu, und sie stehen in der moralischen Pflicht. Das ist klar und wird von allen akzeptiert. Es mangelt bloß am Willen, vor allem an der Bereitschaft, zugunsten allgemeiner Interessen, die erst langfristig Früchte tragen werden, auf die unmittelbaren nationalen Interessen zu verzichten.
Drei Prinzipien müssen die Verständigung leiten: die Lösung des Palästinenserproblems, die drastische Verringerung der Waffenbestände in der Region und die Knüpfung finanzieller Hilfe an den Abschluß politischer und wirtschaftlicher Übereinkommen zwischen den betroffenen Ländern.
Am dringlichsten ist die Lösung des Palästinenserproblems (auch wenn es nicht das schwerwiegendste ist), denn die Existenz von Palästinenserlagern in den arabischen Ländern, vor allem im Libanon und in Jordanien einerseits und die Besetzung der Westbank und des Gaza- Streifens durch Israel andererseits, vergiften die gesamte Region.
Unzählige historische Beispiele haben bewiesen, daß jeder Konflikt mit den Juden wegen der grundsätzlichen Ungenauigkeit des Begriffs der jüdischen Identität, ihrer Grenzen und ihrer Eigentümlichkeiten sofort eine nahezu metaphysische Dimension annimmt. Der Konflikt hat mit der nationalsozialistischen Tragödie, die die Juden grausam getroffen hat, im 20. Jahrhundert seinen monströsen Höhepunkt erlebt.
Und im aktuellen Konflikt lastete wieder eine Drohung auf Israel. Obwohl Israel sich an den Kämpfen nicht beteiligte und mehr als tausend Kilometer von der kuwaitischen Front entfernt liegt, bleibt es ein sehr wichtiger emotionaler Faktor.
Der Zionismus versuchte für das historische Problem der Juden eine Regelung zu finden, indem er ihre Existenz normalisierte. Die meisten Länder haben sehr schnell begriffen, daß diese Normalisierung im Interesse der ganzen Menschheit ist. Die Bildung eines jüdischen Staates in Israel wurde danach durch die berühmte Resolution der Vereinten Nationen von 1947 gebilligt. Gerade diese Normalisierung, wie sie sich in den letzten 40 Jahren hergestellt hat, droht nun in die Brüche zu gehen, wenn die Juden weiterhin über ein anderes Volk herrschen wollen. Deshalb müssen Europa und die Vereinigten Staaten sich zunächst für eine Trennung zwischen Juden und Palästinensern und für die Rückgabe der Westbank und des Gaza-Streifens an das palästinensische Volk einsetzen. Die beiden Parteien müssen sich gegenseitig im Rahmen des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker anerkennen. Zudem muß man die vollständige Entmilitarisierung fordern und gleichzeitig Israels Jordan- Grenze mit militärischen Mitteln sichern, um eine Entspannung durchzusetzen.
Der Haß auf Israel wird nicht verschwinden
Im Rahmen dieser Übereinkünfte muß man die Palästinenser verpflichten, die Flüchtlingslager aufzulösen und die Bevölkerung als freie und normale Bürger in Jordanien oder im palästinensischen Staat anzusiedeln, der an der Seite Israels entsteht. Aber selbst wenn das palästinensische Problem gelöst ist und die beiden Völker Seite an Seite friedlich miteinander leben, mache ich mir keine Illusionen: Der Haß auf Israel, der in Libyen, Syrien, im Iran und anderswo diktatorische Regimes nährt, wird nicht verschwinden. Aber immerhin wird die Ursache für diesen Haß, der in den letzten Jahren erschreckende islamische Blüten hervorgebracht hat, abgeschwächt sein.
Daß diese Option eine realistische Möglichkeit ist, beweist das Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten. Trotz der Krisen in den vergangenen zwölf Jahren in dieser Region hat dieses Abkommen gehalten und gezeigt, wie solide seine Fundamente sind. Es stützt sich auf drei einfache Prinzipien: friedliche Beziehungen, ein vollständiger Rückzug aus fremden Territorien und eine absolute Entmilitarisierung. So wie die Lage aber heute ist, scheint es unmöglich, daß Juden und Palästinenser selbst zu einem Kompromiß finden. Die Juden können es nicht — aufgrund ihres ewigen (mitunter unbewußten) Bedürfnisses, einen gewissen Grad an Konflikten mit der Welt aufrechtzuerhalten, um ihre Identität zu bestätigen. Zudem diktieren ihnen immer noch weitgehend historische Mythen die Politik.
Aber auch die Palästinenser sind dazu unfähig. Ihre Führer sind gespalten. Sie sind physisch von ihrem Volk (in der Westbank, im Gaza- Streifen, aber auch in Jordanien) getrennt, und ihre Identität ist mit einer arabischen Welt verknüpft, die mit dem palästinensischen Problem so umspringt, wie es ihr gerade in den Kram paßt.
Der demokratische Westen ist gefordert
Die aufgeklärten und demokratischen Länder müssen also deutlich eingreifen und einerseits die Juden zwingen, die Normalisierung ihrer Situation nicht zu zerstören, die ja ein Resultat des Zweiten Weltkriegs ist und deren Fehlen sie im Lauf der Geschichte viel Blut gekostet hat; andererseits müssen sie die Palästinenser dahin bringen, die politische Wirklichkeit zu akzeptieren und auf ihre Träume, die nicht in Erfüllung gehen können, zu verzichten, bevor ihr Schicksal noch katastrophalere Dimensionen annimmt.
Wenn Europa und die Vereinigten Staaten in den nächsten sieben oder acht Jahren im Nahen Osten nicht in einen atomaren Konflikt verwickelt werden wollen, müssen sie schon heute bestimmt und generös handeln. Sie müssen zwischen Israel, den Palästinensern, Jordanien und Syrien eine Friedensregelung durchsetzen, die Waffenbestände in der Region drastisch reduzieren und massiv Wirtschaftshilfe leisten. Avraham B. Yehoshua
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