DEBATTE: Nerven behalten
■ Nach Neumünster haben die Grünen bessere Zukunftschancen als je zuvor
Das ist grünes Parteitagstheater: Einer ist immer beleidigt, dramatisch wird das Ende der Grünen beschworen, wird der Abmarsch in die Sekte angekündigt oder auch nur der Austritt angedroht... Die Fundis inszenieren Endspiel und Verratsgeschrei, Realos und Aufbruch erfinden „Jetzt-oder- nie“-Szenarien, in denen sie dann doch immer wieder verlieren.
Die strategischen Entscheidungen, die den Grünen glückliche Zeiten eröffnen können, werden dabei übersehen. Antje Vollmer und Hubert Kleinert haben in Neumünster die letzte der Realo-Fundi-Schlachten, wie nahezu jede in den letzten Jahren, verloren. Das ist schade für die beiden und für die Partei. Doch Aufbruch und Realos haben in allen Sachentscheidungen mit nur knapp verfehlten 2/3-Mehrheiten stabilen Rückhalt für eine pragmatische, ökologische Reformpolitik gefunden. In allen Sachfragen und bei der Formulierung einer gemeinsamen politischen Erklärung war die scharfe Abgrenzung zu antikapitalistischer Erregung und Linksradikalismus Mehrheitskonsens. Der Basisdemokratismus wurde ebenso aufgehoben wie die Rotation abgeschafft. Ohne viel Federlesens wurde der Radikalfeminismus mit einer Resolution aufgehoben, die noch vor einem Jahr als Verrat an jeder Befreiung der Frauen keinerlei Chance auf eine Mehrheit gehabt hätte. Die neun Stimmen, die zur Aufhebung von Trennung von Amt und Mandat bis zur 2/3-Mehrheit fehlten, sind bei der nächsten Versammlung sicher zu bekommen.
Entscheidend aber für die Grünen ist der Abschied der Linken um Ludger Volmer und nahezu aller Grüner vom fundamentalistischen Geschwätz einer Jutta Ditfurth. Sie und ihre Freunde haben jede Chance, die Grünen als „antikapitalistisches“ Instrument zu mißbrauchen, verloren. Mit sich nehmen sie den ganzen Anspruch auf eine völlig andere Welt, die totale Alternative, den Bewegungsmythos und die leerlaufenden Drohungen mit dem apokalyptischen Ende, diesen selbstverliebten Radikalismus. Ihr Auszug zwingt die verbleibende Ex-Linke um den neuen Vorsitzenden Volmer auf Gedeih und Verderb an die Seite der Realos. Wer nach Neumünster weiter von „links“ reden will und zugleich Anspruch auf Beteiligung am politischen Prozeß im neuen Deutschland erhebt, der kann für die nächsten Jahre seiner politischen Selbsterziehung nur auf „rot-grün“ als neuem Wendehimmel setzen, auf sonst gar nichts. Realo zu werden und links im überlebten Sinn zu bleiben, das geht nur noch den Sozialdemokraten anverwandelt oder gleich sozialdemokratisch. Die „Verlandratisierung“ der Grünen besorgt den Rest, denn auch Ex-Linke müssen ihre Eigentumswohnungen abbezahlen. Das ist menschlich und nicht zu kritisieren.
Das Problem für die Grünen wird es jetzt eher sein, einer freiwilligen Selbstbeschränkung grüner Politik auf rot-grün entgegenzutreten. Bei den Grünen können sich jetzt spannende und die Partei öffnende Debatten anhand der Frage entwickeln, ob die ökologische Zähmung des Kapitalismus und die weltweit gedachte Durchsetzung und Verteidigung der Freiheit nur als Fregatte am steuerungsunfähigen Tanker SPD möglich ist. Oder aber ob die Grünen selbst als pragmatische, staatsferne, mehrheitsbewußte und westliche Partei in der Mitte der Gesellschaft diesen Prozeß steuern.
Der neue Bundesvorstand aus Christine Weiske und Ludger Volmer ist nicht mehr als der Nachlaßverwalter eines in Neumünster erledigten Musters grüner Politik. Seine Wahl, besonders die von Weiske aber, beschreibt den Schmerz und die Schwierigkeiten kollektiver Lernprozesse. Keine Frau der Westgrünen hätte mit den Argumenten einer Weiske eine Chance gehabt. Ihre Behauptung, die Bundesrepublik sei mit Kohl schwärzer als je zuvor, ist so falsch, wie die Erwartung schwerer sozialer Auseinandersetzungen in der Ex-DDR eine Zweckbehauptung ist. Der alte Selbstbetrug der Linken in der Bundesrepublik von der Reformierbarkeit des realen Sozialismus wird weitergetragen in der Vorstellung von der schwarzen Schreckensherrschaft und dem Traum revitalisierbarer Klassenkämpfe. Weiskes Wahl bedeutet daher nicht die Identifizierung mit den Freiheitsimpulsen der Bürgerbewegungen in der alten DDR, sondern die letzte, verzweifelte, programmatisch längst aufgegebene Flucht vor den politischen Realitäten im neuen Deutschland in die alten Sicherheiten linker Dogmen.
Die Zumutung, die Bundesrepublik nicht länger als Feindesland begreifen zu können, sondern als freiheitlich westliche Demokratie, die sie selbst miterkämpft haben, als politische „Heimat“ anzunehmen, verbindet sich mit der Angst der Ex- DDRler, die Sicherheit in ihrer Opferrolle aufzugeben und sich der Unausweichlichkeit westlicher Freiheit auszusetzen. Die so vergnügt vor nur einem Jahr eingerissenen Mauern zwischen den Menschen und den Systemen sollen in den Köpfen als Mauern gegen die Wirklichkeit und gegen große Möglichkeiten erhalten bleiben.
Die Angst der Ex-DDRler vor demokratischer Unsicherheit darf nicht zur Verlängerung der Vorbehalte vieler Ex-Linker gegen repräsentative Strukturen mißbraucht werden. Dort, wo Grüne oder Bürgerbewegte aus der ehemaligen DDR das verlangen, ist ihnen zu widersprechen. Die Bürgerbewegungen tragen die Verantwortung für die Wahl Christine Weiskes. Sie denunziert ihren Anspruch auf die ganze Freiheit gegen Unterdrückung durch angepaßtes und schnell erlerntes Linksreden.
Die Bürgerbewegungen haben außerhalb der Grünen keine Chance auf einen eigenständigen politischen Ort im öffentlichen Raum. Sie gehören in die Grünen, und zwar schnell. Christiane Weiske durch Jens Reich oder Wolfgang Ullmann zu ersetzen, das ist eine Selbstverständlichkeit und Kleinigkeit für die neuen Mehrheiten nach Neumünster. In spätestens einem Jahr werden die Grünen auch die personellen Konsequenzen aus ihrem Schritt ins Offene ziehen. Nerven behalten. Jutta Ditfurths Weggang bedeutet in jedem Fall die Hoffnung, daß die Praxis politischer Zukunftssuche mit Feinderklärungen und — wenn gar nichts mehr hilft — mit Faschismusvorwürfen zu erledigen, vorbei, jedenfalls nicht mehr grün ist. Nach Neumünster haben die Grünen bessere Zukunftschancen als je zuvor in den letzten zehn Jahren. Udo Knapp
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