DEBATTE: Ein Park der Monumente im Osten Berlins
■ Johannes Pernkopf, Westberliner Seminarleiter der politischen Erwachsenenbildung, schlägt einen »Park der heroischen Pose« für die abgerissenen realsozialistischen Denkmäler in Treptow oder Schönholz vor
Aus den sowjetischen Republiken erreichen uns Nachrichten und Bilder von politischer Denkmalstürmereien. Statuen Lenins oder des Tscheka- Gründers Felix Dserschinskij werden Stahlseile um den Hals geschlungen, und dann werden sie unter dem Gejohle und Klatschen des aufgelaufenen Volkes, vor laufenden Kameras, mit Billigung der Behörden oder im Angesicht ihrer Machtlosigkeit, von ihren Sockeln gehoben und zum Abtransport auf die Seite gelegt. Einigen ist bis dahin schon der Arm abgebrochen, der Fuß zerschlagen, das Gesicht verunstaltet worden.
In Ostberlin wie auch in anderen ostdeutschen Städten ist eine solche Manifestation des Volkszorns nicht vorstellbar. Dieses Volk scheint andere Sorgen zu haben und andere Objekte, an denen es sich abreagiert. Zwei Jahre nach den kurzen und heftigen Eruptionen der Herbsttage 1989, nach den Emotionen und Aufbruchstimmungen der Zeit der Runden Tische, nach der Aufwallung der Gefühle vor der Zentrale der Staatssicheheit sind die ideologischen Denkmäler das Letzte, mit dem man sich herumschlagen möchte. Lenin steht am Leninplatz, am Beginn der Leninallee, theatralisch wie immer mit gerecktem Kopf und gewinkeltem Arm, mit Mächtigkeit aus dem Boden herauswachsend, und verzieht keine Miene. Noch hält Ernst Thälmann im Thälmannpark seine Faust in Schulterhöhe, sein Gesicht ist gegen jede Änderung der Verhältnisse gegossen. Noch müssen Karl Marx und Friedrich Engels am Marx-Engels- Forum ausharren und Haltung bewahren. »Wir sind unschuldig« und »Beim nächsten Mal wird alles besser«, diese zur Abwechslung einmal geistreichen Sprüche aus Spraydosen zieren ihren Sockel und finden bei den Besuchern sichtlich Zuspruch und Amüsement. Die Gleichgültigkeit den Denkmalen gegenüber — ist sie ein besonders raffiniertes Mittel der Strafe durch demonstrative Nichtbeachtung, oder aber zeigt sich hier die ostdeutsche Volksseele mit ihrer insgeheimen Übereinstimmung mit den Botschaften der in Stein oder Bronze gehaltenen Helden? Nun ja, kurzfristig, aus dem Schutz der Nacht heraus, sind dem Lenindenkmal einmal ein paar kräftige Farbspritzer verpaßt worden — und, was geschah daraufhin? Richtig geraten, wir befinden uns auf deutschem Boden: Kurze Zeit später war ein Gerüst angebracht und diese Verschandelung der öffentlichen Sauberkeit beseitigt, im Jahre 1991!
Was tun also mit Lenin, mit Thälmann,mit Marx und Engels? In Berlin beschäftigt diese Frage, wie es sich für ein ordentliches Staatswesen gehört, die gewählten Volksvertreter. In den Bezirksverordnetenversammlungen der jeweiligen Stadtbezirke oder in den eingerichteten Ausschüssen wird nach den vorhandenen Kräfteverhältnissen um Antworten gefochten. So hat die PDS von Friedrichshain, wo Lenin steht, eingedenk ihrer »revolutionären« Vergangenheit, für den Erhalt der Statue gestimmt. Eine unter recht zwielichtigen Begleitumständen zustandegekommene Einwohnerversammlung soll mit 125 pro- und nur 5 Gegenstimmen für den »namentlichen und denkmalichen Verbleib« votiert haben, worauf sich die PDS jetzt beruft. Viele Einwohner haben aber überhaupt nichts von der Versammlung erfahren, und nachweisbar gibt es auch über 500 Unterschriften von Bürgern, die gegen die Beibehaltung des Platznamens und seiner Statue eintreten. Ein Antrag eines SPD-Abgeordneten, den Platz umzubenennen in Robert-Havemann-Platz, scheint allerdings erst dann sinvoll, wenn über den Verbleib des Denkmals eine Entscheidung gefällt worden ist. Und die gleichnamige Leninallee beginnt zwar in Friedrichshain, führt dann aber als typischer realsozialistischer Boulevard durch vier weitere Bezirke der ehemaligen Hauptstadt der DDR... Darüber aber, wohin denn die Stein- oder Bronzeungetüme im Falle ihrer Entfernung transportiert werden sollen, dürfte auch noch keine Klarheit bestehen. Vermutlich auf einen Lagerplatz für herrenlose und ausgediente Kunstwerke, damit diese lästige Fragestellung geruhsam vertagt werden kann.
Nun, ich finde, diese Denkmäler sind für die Öffentlichkeit geschaffen und gehören ihr auch. Ich schlage vor, in Ostberlin einen zentralen Park der Monumente einzurichten, oder einen Park der heroischen Pose, oder aber einen realsozialistischen Gedächtnispark — über die Bezeichnung darf ruhig gestritten werden. Dort könnten sie alle friedlich nebeneinander, in gebührendem Abstand natürlich, Aufstellung nehmen und aufs ersehnte Altenteil gehen. Dort könnten sie, in Rufweite, ihre stumme Unerhaltung führen, abhörsicher, diskret. Es gibt ja noch wahnsinnig viel zu besprechen, ein Berg von Vergangenheit muß noch bewältigt werden. Um eine solche Diskussion etwas anzureichern, könnte man noch Herrn Stalin von der früheren Stalinallee, im November 1961 in einer klammheimlichen Aktion entfernt und seitdem nicht wieder in der Öffentlichkeit aufgetaucht, dazupostieren. Auch aus anderen ostdeutschen Städten könnte man sie heranholen.
Natürlich müßte man die Statuen von ihren Podesten holen, um Blickkontakt von Mensch zu Übermensch herzustellen. So würde auch die dem Künstler aufgegebene Heroisierung seiner Figuren auf eine ganz einfache und humane Weise gebrochen und unschädlich gemacht. Auch durch ihre Massierung auf einem fußläufig ergehbaren Gelände ist ein Effekt der Demontage jeder hohlen Gebärde zu erwarten, die Wiederholung von Pose könnte ganz gut ihre Phrasenhaftigkeit herausstreichen. Die Denkmale einer untergehenden Weltsicht, einer sang- und klanglos verschwindenden Alte-Männer-Herrschaft, wären damit aus ihrer Platzhirsch-Haltung geholt und für spätere Generationen erhalten, auf ein menschliches, ein geschichtliches, ein kunstgeschichtliches Maß gestutzt.
In Berlin böten sich hervorragender Weise der Treptower oder Schönholzer Park für eine solche Installation an. Dort befinden sich sogenannte sowjetische Ehrenmale, die man in einer derartiges Projekt integrieren könnte.
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