DEBATTE: Ein Labor der UNO-Träume
■ Kambodschas Friedensvertrag soll heute in Paris unterzeichnet werden
Zum zweiten Mal in zwei Jahrzehnten steht Kambodscha kurz davor, ein gigantisches Testfeld für politisch radikale Ideen dieses Jahrhunderts zu werden. Das neue Experiment ist der erste Versuch der UNO, nicht nur einen Krieg zu beenden, sondern einem Land Frieden und Demokratie zu bescheren, den Totalitarismus und die Fremdbesatzung zu beenden. Das ist der Stoff, aus dem die UNO- Gründer-Träume sind. Es wird zudem die größte und teuerste Operation in der Geschichte der internationalen Organisation sein.
Die „United Nationals Transitional Authority“ (Untag) in Kambodscha wird versuchen, die unglaublichen Schäden des letzten Experiments auf kambodschanischem Boden zu beheben — Pol Pots vierjährige Revolution, die ein kommunistisches Utopia kreieren sollte und in Genozid und Destruktion endete.
Seit den frühen 70ern ist die Geschichte Kambodschas eine des Elends. Damals wurde das Land zum Schlachtfeld des Kalten Krieges, später erlebte es den Holocaust der Roten Khmer, danach kam die vietnamesische Besatzung und mit ihr der Bürgerkrieg. All dies bildet den Hintergrund für die Entscheidung der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates — von denen einige die jeweiligen Bürgerkriegsparteien unterstützten —, einen Friedensplan auszuarbeiten.
Gemeinsam hatten sie die Kraft, die Intervention von außen, die immer wieder den Krieg anfachte, zu beenden. China und die UdSSR hatten sich mit direkter Hilfe eingemischt, während die USA der einen Seite schwere wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen auferlegte. Frankreich, weiteres Sicherheitsratsmitglied, sponsorte 1989 eine internationale Kambodscha-Konferenz und nahm eine zentrale Rolle bei der Bestimmung des zukünftigen Weges seiner ehemaligen Kolonie ein. Die Konferenz dieser Woche ist eine Fortsetzung dieses ersten Pariser Treffens.
Diese Mal profitiert Kambodscha von einem umgekehrten Dominoeffekt. Derselbe Druck, der den Kollaps des sowjetischen Kommunismus beschleunigte, zwang auch die Vietnamesen zum Rückzug ihrer Truppen aus Kambodscha und dazu, den UNO-Friedensplan zu akzeptieren. Die durch das Massaker am Tiananmen begonnene Isolation Chinas zwang Peking, seine Unterstützung für die Roten Khmer zu beenden und die Rückkehr Prinz Sihanouks zu erlauben. Auch die USA konnten durch die Abnahme der kommunistischen Bedrohung in Asien zu einer Annäherung an Vietnam kommen, die Amerikas schmerzvollstes Kapitel des Kalten Krieges beenden wird.
Der heute in Paris zu unterzeichnende Friedensplan wird von 18 Staaten signiert, darunter Kambodschas Nachbarn wie auch Japan und Australien. Alle spielten eine bedeutsame Rolle auf der Suche nach Frieden. Es ist wie die diplomatische Version des Zaubertricks, der Kaninchen aus einem Hut zaubert. Frankreich, Großbritannien und die USA erreichten, daß die Sowjetunion und China die Begleitung des Transformationsprozesses in eine Demokratie durch die UNO akzeptierten. Das ist ein Fluchtweg für Kambodschaner aus dem untergehenden kommunistischen Asien.
Kopräsident der internationalen Konferenz ist Indonesien, dessen Rolle bei den Verhandlungen den Willen verdeutlicht, Kambodscha in die Dynamik der Wirtschaftswelt Südostasiens aufzunehmen. Ohne die grundsätzliche und breitangelegte Rolle der USA im Übergang zu Frieden hätte Kambodscha die Geisel Chinas oder Vietnams werden können. Es wäre dann gezwungen worden, eine „rote Lösung“ zu akzeptieren.
Für eine UN-Mission bedarf es allerdings ungeahnter Ausstattungen, um den Waffenstillstand zu überwachen, 70 Prozent der Kriegskräfte zu demobilisieren, die kambodschanische Administration zu überwachen und um Wahlen vorzubereiten. All das wird gemeinsam mit dem kambodschanischen Nationalrat koordiniert werden, einer Gruppe, die dem Friedensplan entspringt. Im Rat sind Vertreter der vier Kriegsparteien vertreten, er gilt als Schlüssel des UN-Plans. Grundsätzlich gilt keine Seite als Gewinner und werden alle Teile aufgefordert, der UNO wie auch der kambodschanischen Administration mit Rat zur Seite zu stehen, geht es um die Ausrichtung freier und fairer Wahlen im Frühjahr 1993.
Für die Kambodschaner wurde der Nationalrat zu einem Forum, um Konflikte friedlich zu lösen und um den Friedensplan des UNO-Sicherheitsrates zu ergänzen oder ihm zuzustimmen. Dies half den Eindruck zu beheben, es handele sich um ein Abkommen, das von außen dem Land aufgezwungen worden sei.
Bei den heutigen Zeremonien in Paris wird es unendliche Glückwünsche geben. Doch ein Punkt im Vertrag sollte alle nachdenklich machen. Nirgendwo in der Vereinbarung werden die Roten Khmer für den Völkermord, den sie begingen, verantwortlich gemacht. Stattdessen sitzen zwei ihrer hohen Offiziellen mit im Nationalrat. Theoretisch könnte Pol Pot immer noch für das Präsidentenamt kandidieren. Für Diplomaten war dies der Preis für die Kooperationsbereitschaft Chinas. Genauer genommen reflektiert die Präsenz der Roten Khmer jedoch die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, Menschenrechte so ernst zu nehmen, wie die Unantastbarkeit nationaler Grenzen.
Schließlich werden sich einige UN-Mitgliedsstaaten fragen, ob Frieden die zwei Milliarden Dollar Kosten für die UNO-Mission wert ist. Es gibt schon diplomatische Stimmen, die sich darüber beklagen, der Übergang zur Demokratie in Kambodscha sei wohl kaum wichtiger als der in der Sowjetunion oder in anderen osteuropäischen Ländern.
Aus welchen Gründen auch immer — die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates haben bisher ihren Willen bewiesen, für einen kambodschanischen Frieden ihr Prestige aufs Spiel zu setzen: für eine mögliche neue Rolle der UNO und zugunsten des sich eröffnenden Rollenmodells für zukünftige Friedensschlüsse.
Die Kambodschaner werden die Lasten mittragen. Sie werden der Welt beweisen müssen, daß es dieses Experiment wert war, und daß sie in der Lage sind, eine friedliche, demokratische Nation zu regieren. Haben sie damit Erfolg, werden auch sie zu denen gehören, die sagen, daß die UNO ähnliche Wunder in anderen Teilen der Erde vollbringen sollte. Ein fragiles Land wie Kambodscha trägt damit eine schwere Last. Elizabeth Becker
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