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DEBATTEDie Mittel entheiligen immer den Zweck

■ Stasi-Mitarbeiter Till Meyer: Benutzt als Teil eines Unterdrückungssystems

Ungeachtet der Tatsache, daß Till Meyer bis zur Öffnung der Mauer — ob nun aus eigener Überzeugung oder im Auftrag der Stasi — das »rot-grüne Reformprojekt« vehement und lautstark unterstützt hat, ist es dennoch eine Überschätzung seiner journalistischen Tätigkeit, daß die Aufdeckung von Teltschow etc. die Wahlen 1989 entscheidend beeinflußt hat. Im nachhinein eine Aufarbeitung unter dieser Überschrift vorzunehmen, würde zu nichts anderem führen, als diesen »Politikansatz im Geheimen« zu befördern.

Geheimdienste in aller Welt, ihre Adepten (auch unter den Kritikern) hängen der Einzelkämpfertheorie und der Suche nach singulären Erklärungsmustern an. Till Meyer war nicht der erfolgreiche Einzelkämpfer. Der Knall der Enttarnung Teltschows als VM wäre ins Leere verpufft, wäre nicht vorher durch die jahrelangen Enthüllungen von Skandalen — auch des Berliner Amtes — die Öffentlichkeit hellhörig geworden.

Ergebnis: Bereits vor der Enttarnung wurde wegen einer Vielzahl von Ungeheuerlichkeiten des Landesamtes für Verfassungsschutz ein Untersuchungsausschuß eingerichtet, der über den Wahltag hinaus arbeitete. Der Berliner Verfassungsschutz war da, müßig über die zweite Stelle hinter dem Komma zu diskutieren, die Meyer bewirkt haben könnte.

Wir haben mit Till Meyer — wie mit anderen FachjournalistInnen auch — geredet. Unter anderem drehten sich die Gespräche um den anstehenden Schmücker-Untersuchungsausschuß, wo uns Till Meyer als »beteiligter Zeitzeuge« und damit Kenner der Szene, einer von mehreren nützlichen Gesprächspartnern war — kurz vor Eintritt der Papierfluten.

Brillanter Rechercheur? Da fragen wir uns heute allerdings, welche Informationen wohl auf seinen eigenen Erfahrungen beruhen, was ist von ihm selbst recherchiert und welchen Teil hat ihm — und damit uns — die Stasi geliefert oder gerade nicht geliefert. Für die Staatssicherheit waren Polizei und Verfassungsschutz »gläserne Verwaltungen«.

So lautstark Till Meyer mit anderen auch das rot-grüne Reformprojekt im März 89 anfänglich unterstützt hat, so gering war schon aufgrund der zeitlichen Abläufe sein Einfluß. Nach der Öffnung der Mauer trugen er wie auch andere der veränderten Weltlage dadurch Rechnung, daß sie »ein breites linkes Bündnis« aufbauten und Rot-Grün für sie nicht mehr unterstützenswert war.

Es bleibt das Gefühl, funktionalisiert worden zu sein: von Meyer und Schneider und anderen — noch unbekannten — aus den Ost- und Westgeheimdiensten. Es ist richtig, darüber nachzudenken, wo sie unser politisches Handeln beeinflußten.

Uns bleibt aber die Überzeugung, daß sie im Kleinen ebenso versagten, wie ihnen im Großen zum Beispiel der Erhalt des »real existierenden...« oder das Verdecken von VS-Skandalen mißlungen ist.

Bezüglich der Abschiedsumarmung Till Meyers mit seinem Führungsoffizier bleibt festzuhalten: Der Mann hat offenbar zu viele Jerry-Cotton-Romane gelesen. Nicht er ist der Held, er ist — wie auch Schneider — Teil eines Unterdrückungssystems gewesen. Motiv hin oder her: Die Mittel entheiligen immer den Zweck.

Lena Schraut, Datenschutzbeauftragte

Renate Künast, Fraktionsvors. Bündnis 90/Grüne

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