DEBATTE: Krise der Ökologie
■ Warum die SPD nicht Nachlaßverwalter der Umweltbewegung sein kann
Der politische Öko-Boom ist verrauscht. Bei nahezu allen politischen Gruppen haben im neuen, größeren Deutschland alte Themen wie etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohnraum ökologische Themen von den politischen Hitlisten verdrängt. Derzeit spricht nichts dafür, daß die manchem liebgewordenen, seligen politischen Verhältnisse der alten Bundesrepublik im größeren Deutschland wiederkehren werden. Gerade wenn die neuen Themen der alten Republik wie Natur- und Umweltschutz, die Rollenveränderungen von Frauen und Männern, der Wunsch nach Partizipation etc. im neuen Deutschland aber nicht endgültig untergehen sollen, kann es nicht darum gehen, bruchlos an die gute alte Zeit der 70er und 80er Jahre anzuknüpfen. Dies aber spricht wohl aus dem Wunsch einiger Ökologen, die, nach dem bundespolitischen Scheitern der Grünen heimatlos geworden, ihr grünes Weltbild nunmehr der SPD andienen wollen — wie etwa Bernd Ulrich in der taz vom 3.2.92.
Ökologie und Sozialdemokratie
Das Profil der SPD als ökologische Reformpartei ist innerparteilich durchgesetzt und wird kaum mehr grundsätzlich bestritten. Gleichwohl würde die Umsetzung der Idee, allein die Umweltpolitik ins Zentrum ihres Handelns zu rücken, die Sozialdemokratie heillos überfordern und in ein strategisches Desaster führen. Breiten Teilen ihrer Mitgliederbasis und erst recht ihrer potentiellen Wählerklientel würde dies nur als zynische Verhöhnung ihrer faktischen Situation erscheinen. Denn diese ist meist — bei aller berechtigten Sorge um den Zustand der Umwelt — doch viel stärker durch finanzielle Schwierigkeiten, Ängste vor sozialem Abstieg und Identitätsverlust etc. geprägt. Mögen solche Probleme „normaler“ Menschen dem umweltzerstörungsbewußten Ökologen angesichts der „wahren“ Herausforderungen unserer Zeit auch bedeutungslos erscheinen, eine Volkspartei muß sich um eine Synthese der verschiedenen Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung bemühen, will sie Volkspartei bleiben.
Die Forderung übrigens, Ökologie in den Mittelpunkt der Politik zu stellen und damit gewissermaßen die Politik der Grünen in der ersten Hälfte der achtziger Jahre wiederaufleben zu lassen, dürfte heute selbst für die grüne Partei kein probates Mittel sein, in die Bundespolitik zurückzukehren.
Aktuelle Probleme der SPD gründen teilweise vielleicht sogar darin, daß ihre neue Politikergeneration der Vierzig- bis Fünfzigjährigen, die auch durch die ökologischen Debatten der siebziger und achtziger Jahre geprägt wurde, oftmals noch zu sehr auf diese Themen fixiert ist. Sozialdemokratische Umweltpolitik steht vor der doppelten Gefahr, einerseits zu wenig für den Schutz der Umwelt zu tun und andererseits Teile ihrer Wählerklientel durch — sachlich gewiß notwendige — umweltpolitische Zumutungen zu überfordern. Aufgabe ist die glaubwürdige Darstellung eines zusammenhängenden Politikkonzepts, das unterschiedliche Interessen verschiedener Gruppen und sozialer Milieus zusammenführt. Für ideologisch überhitzte Ökologen mag ein solches Politikangebot zu lau sein.
Ob eine pragmatische Umweltpolitik den vielfältigen zivilisatorischen Gefahren adäquat ist, vermag niemand zu beantworten. Die Kritik ökologischer Rigoristen hieran ist jedenfalls, wie bei jeder Ideologie, theoretisch kaum zu widerlegen. Praktisch bleibt diese Kritik indes folgenlos, weil durch die Verwandlung der Ökologie in ein Dogma kein Baum gerettet wird.
Die Sozialdemokratie ist unter vielen Mühen dabei, am Ende dieses Jahrhunderts endlich zu einer modernen Partei zu werden, deren kreatives Denken nicht mehr durch ideologische Fesseln eingeengt wird. Sie sollte allen Versuchen widerstehen, die durch das Ende des Sozialismus entstandene weltanschauliche „Lücke“ durch ökologistische, feministische oder sonstige ideologische Versatzstücke zu füllen.
Ökologie-Debatte in der Sackgasse
Dies gilt um so mehr, als immer offenkundiger wird, daß die Ökologie- Debatte in einer selbstverursachten Sackgasse steckt, deren Auswege nicht mehr im trotzigen „Weiter so“ bestehen können. Fraglos bestehen drängende Umweltprobleme. Aber folgt aus der Tatsache, daß die Müllberge nicht geringer werden und uns das Ozonloch immer näher rückt, auch schon, daß die ökologische Debatte der letzten zwanzig Jahre diesen Phänomenen gerecht wird? Sind ökologische Konzepte geeignet, der weiteren Zerstörung unserer natürlichen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten? Eine nach dem nächsten Atomunfall neu entfachte Energiediskussion in deutschen Landen unter den Bedingungen weltweiter Klimaveränderungen sollte mit mehr als einem intellektuellen GAU der simplen ökologischen „AKW Nee“-Mentalität enden — vergleichbar dem moralischen Bankrott des allzu einfältig gewirkten Öko-Pax-Pazifismus im Gefolge des Golfkrieges. Man kann nicht Atomenergie ablehnen und gleichzeitig hoffen, durch ein bißchen rationelle Energieverwendung und eifrigen „Umbau“ der Versorgungsstruktur Atomkraft von heute auf morgen verzichtbar zu machen, ohne das Wohlstandsniveau zu tangieren. Das ist längst ohne Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie kann zukünftig nur noch um den Preis der Vergeudung fossiler Ressourcen und zu Lasten der Dritten Welt umgesetzt werden. Ökologie als ökotechnokratische Ideologie wendet sich hier zunehmend gegen die eigenen, ursprünglichen Anliegen.
Auch die Propagierung „ökologischer Ethik“ oder anderer Formen innerweltlicher Askese durch ökologische Moralisten führt ökologisches Denken nicht aus ihrem Dilemma: Solches Ethik-Design scheitert an der Eigenwilligkeit der Menschen oder führt nur zu Dogmatismus, der in der Gefahr steht, neue Gewalt zu begründen.
Die Grenzen des Politischen
Ökologie als „alternative“ Ausprägung neuzeitlichen Machbarkeitswahnes bleibt diesem auch als Politik verpflichtet. Zwar wurde viel über „politische Ökologie“ geschrieben und diskutiert, doch überall, wo Ökologie politisch wurde, blieb sie einem unpolitisch-totalitären Politikverständnis verpflichtet. Der Grundgedanke offener Gesellschaft— die Anerkennung der faktischen Emanzipation der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären vom politisch-staatlichen Zentrum, die Unregierbarkeit und das Fehlen eines Steuerungszentrums von Gesellschaft — sind jedem wackeren Ökologen ein Greuel. Denn in einer pluralistischen Gesellschaft fehlen die „Hebel“ (= grünes Lieblingswort) zur Durchsetzung der eigenen Weltanschauung.
Die durchaus positiven Ansätze der Ökologiebewegung zu einem neuen Lebensstil mit Bioläden und Wohngemeinschaften, selbstbestimmter Arbeit und Lob der Muße waren von vornherein zu dogmatisch angelegt, um die Idee eines ökologischen und lebenswerten Lebens jenseits der abgekapselten und zur Sektiererei neigenden „Öko-Szene“ zu verbreiten.
Ohne solche lebenskulturellen Impulse einer Veränderungsbereitschaft des alltäglichen Lebens kann sich auch sozialdemokratische Umweltpolitik indes bis auf weiteres nur durch einen intelligenten Pragmatismus gegenüber liberal-konservativer Alibi-Umweltpolitik und grünem Öko-Dogmatismus auszeichnen. Dies wäre gar nicht wenig. Die Rolle der Sozialdemokratie in einer Ampelkoalition bestünde daher auch darin, den grünen Teil dieser „Ampel“ zu bremsen, der immer noch zu politischer Raserei und unsozialer und unökologischer Beschleunigung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse neigt. Harry Kunz
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