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DEBATTEMensch Kollege Mann!!!

■ Ein Fall von sexueller Belästigung wird in der IG Metall chauvinistisch ausgesessen — Replik auf den Beitrag von IGM-Pressesprecher Barczynski

Neunzig Prozent aller berufstätigen Frauen sind schon einmal sexuell belästigt worden, siebzig mehrfach. Für Jörg Barczynski, Pressesprecher des Hauptvorstandes der IG Metall, Grund genug, sich aufzuregen — allerdings, so Barczynski, genüge Aufregung alleine nicht. Als Gewerkschaft wolle man auch etwas verändern. Und so lehnt sich der Pressesprecher angesichts des „Falls sexueller Belästigung in den eigenen Reihen“ gemächlich zurück und stellt mit einem entschiedenen „einerseits — andererseits“ fest, daß in der IG Metall zwar alles progressiv ist, man und besonders frau aber hinsichtlich dieses Themas nicht zuviel erwarten dürfe; man(n) sei schließlich auch nur ein ganz normaler Betrieb. Und mit Suchtbeauftragten habe man auch schon gute Erfolge gehabt. Allerdings könne man im eigenen Fall leider, leider keine klare Position für die Betroffene beziehen. Schließlich war niemand dabei, und der Pressesprecher weiß auch, daß es eine „feucht-fröhliche Feier“ gegeben hat, auf der „geschmust“ wurde und die die Leute „Hand in Hand“ verlassen haben sollen. (Erkenntnisse, die ansonsten niemand hat und die, träfen sie zu, nichts, aber auch gar nichts entschuldigten). Deshalb haben die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und die Unschuldsvermutung daran gehindert, den Beschuldigten zu entlassen. Und eine Verdachtskündigung haben man nicht aussprechen können, da sich dies die Arbeitgeber abgucken würden und es dann genauso machten!

Mensch Kollege, Pressesprecher, Mann und Mitstreiter im blutigen Kampf für die Menschenrechte, in 99 Prozent dieser Fälle gibt es keine weiteren Zeugen für den Tathergang, und dennoch muß man(n) sich entscheiden, für wen man eintritt. Den Platz dazwischen gibt es nicht. Hier gilt es Position zu beziehen in einer politischen Auseinandersetzung.

Die IG-Metall-Verwaltungsstelle Berlin hat zwar mehrfach öffentlich geäußert, daß für sie die Glaubwürdigkeit der Betroffenen nicht in Frage stünde. Sie hat den Beschuldigten versetzt und beurlaubt. Die klarste Konsequenz, sich von ihm zu trennen und sich damit klar vor die Betroffene zu stellen, hat sie, aus welchen Motiven heraus auch immer, nicht gezogen.

Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und die Unschuldsvermutung schützen den Beschuldigten — in erster Linie vor staatlichen Zwangsmitteln. Es geht aber auch darum, die Interessen der Betroffenen zu schützen. Sie hat einen Anspruch darauf, nicht länger mit dem Täter konfrontiert zu sein und vor weiteren Belästigungen geschützt zu werden. Auch auf ihrer Seite stehen Grund- und Menschenrecht, die es zu wahren gilt — auch und gerade nach der Tat. Der Arbeitgeber, noch dazu der sich selbst fortschrittlich nennende, muß hier handeln. Verschanzt man(n) sich hinter der staatlichen Aufklärung, verletzt man, demütigt und erniedrigt mit. Ohne eine klare Handlung des Arbeitgebers wird diese Situation unerträglich.

Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Frau jemanden zu Unrecht einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung bezichtigt, tendiert gegen Null. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint der einseitige Rekurs der IG Metall auf die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und die Unschuldsvermutung zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise als zu einfache Entschuldigung. Die Konsequenz einer Kündigung auf die Anschuldigung der Betroffenen hin hätte diesen verteidigenswerten Grundsatz nicht im mindesten tangiert. Er bliebe im Strafverfahren ohne jede Einschränkung, und auch im Kündigungsschutzverfahren hat niemand eine Beweislastumkehr gefordert. Die Gefahr, mit einer solchen Handlungsweise Einfallstore für die Einschränkung von Beschuldigtenrechten zu schaffen, gar auf sie zu verzichten, ist nicht erkennbar. Auch die Entschuldigung, man(n) wolle nicht auf das sonst kritisierte Mittel der „Verdachts“kündigung zurückgreifen und Berufungsfälle für die übrigen (bösen) Arbeitgeber schaffen, die mißliebige Arbeitnehmer loswerden wollen, ist eher hilflos.

Bigottes Verhältnis zum Kündigungsschutz

Die Gewerkschaften haben sich nie gescheut, mit dem Argument, sie seien Tendenzbetrieb, alle ansonsten verteidigten ArbeitnehmerInnenrechte zu umgehen. In den 70er Jahren und zum Teil auch noch heute wurden und werden politische SekretärInnen aufgrund mißliebiger politischer Ansichten entlassen. Werden die Kündigungsschutzverfahren bis vor das Bundesarbeitsgericht getrieben, um sich bestätigen zu lassen, daß man wegen nicht vereinbarer politischer Ansichten und Verhaltensweisen kündigen darf. Die Gefahr, daß sich auch andere Arbeitgeber dieses Instruments bedienen, um mißliebige ArbeitnehmerInnen loszuwerden, spielte dabei keine Rolle. Und auch die Fürsorgepflicht gegenüber demjenigen, der politisch nicht genehm war, hindert nicht daran, ohne Rücksicht auf soziale Fragen zu kündigen. Jörg Barczynski behauptet in seinem Beitrag, bei der auszusprechenden Kündigung handle es sich um eine Verdachtskündigung. Diese habe ohne polizeiliche Ermittlungen keinen Bestand. Eine Erkenntnis, die jeder Grundlage entbehrt.

Qua definitionem ist eine Verdachtskündigung eine, die mit dem bloßen Verdacht einer strafbaren Handlung begründet wird. Der Verdacht muß schwerwiegend sein und sich aus objektiv nachweisbaren Tatsachen ableiten. Über dieses Stadium ist die Verwaltungsstelle Berlin aber längst hinaus. Sie glaubt doch der Betroffenen, hält damit den Vorwurf für erwiesen. Ein bloßer Verdacht ist das nicht mehr. Das erkennende Gericht kann selbst Beweis darüber erheben, ob die behaupteten Vorwürfe zutreffen.

Selbst wenn lediglich wegen des Verdachts gekündigt würde, sind gerade vor dem Hintergrund der schutzwürdigen Belange der Betroffenen polizeiliche Ermittlungen unnötig. Ihr Fehlen führt nicht automatisch dazu, daß der Beschuldigte mit seiner Klage durchkommt. Die Verwaltungsstelle Berlin hätte diese Kündigung nicht nur aussprechen können, sie wäre dazu verpflichtet gewesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin hat im Januar 1991 entschieden, daß eine sexuell belästigte Frau gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch darauf haben kann, daß der belästigende Mitarbeiter entlassen wird. Statt dessen wurde der Beschuldigte in der IGM vom Vorstand übernommen und anderweitig eingesetzt.

Die IG Metall muß sich vorwerfen lassen, in dieser Auseinandersetzung eindeutig Position für den Beschuldigten ergriffen zu haben. Männerkumpanei ist wohl noch eine der harmloseren Bezeichnungen für das an den Tag gelegte Verhalten. In dieser Tat spiegeln sich die klassischen gesellschaftlichen Machtstrukturen wider, deren Ausdruck sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen sind. Der politische Sekretär belästigt die Verwaltungsangestellte. Das gewollt hierarchische Machtgefüge setzt sich fort.

Fast klischeehaft ist der Verweis von J. B., daß Frauen im Umgang mit diesem Problem zu schulen seien. Warum nicht auch Männer? Sollten wir da etwa Schwierigkeiten mit der eigenen Klientel kriegen, wenn plötzlich das eigene Verhalten zu hinterfragen ist? Hierzu wäre es sicherlich hilfreich, auch durch Beschluß — wie in der ÖTV — festzuschreiben, daß IG-Metall-besetzte Gremien und Institutionen grundsätzlich davon ausgehen, daß die von einer Frau erhobenen Vorwürfe sexueller Belästigung zutreffen und darauf basierend die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.

Es mag sein, daß bereits die angelaufene Diskussion zu einer Enttabuisierung beiträgt. Sie ist jedoch weder ausreichend, noch sind wir darauf beschränkt. Trotz Emotionen und Irritationen gibt es jenseits rechtswissenschaftlicher Seminare Wege, die Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Sie bedürfen vielleicht nur des Mutes, die vermeintlichen rechtsstaatlichen Wege zu verlassen. Und auch hierzu waren Gewerkschaften mal in der Lage — wenn's auch schon lange her ist. Volker Ratzmann

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