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DEBATTEVerrat an den Frauen

■ Die §218-Reform darf von linken FundamentalistInnen nicht verhindert werden

Endspurt beim §218. Schaffen es die Willigen im Bundestag nach zwanzig Jahren Frauenkampf gegen das Abtreibungsverbot, jetzt wenigstens die Fristenlösung mit dem Pferdefuß Zwangsberatung durchzubringen? Oder werden ungewollt Schwangere in Deutschland für den Rest dieses Jahrtausends unter der Knute der vatikanhörigen CDU/CSU sein? Dann Gnade uns Gott (der das aber nicht zu tun scheint).

Was jetzt vorliegt, ist ein Kompromiß — aber es ist bei den augenblicklichen Machtverhältnissen im Parlament der einzig mögliche. Denn im Parlament hat heute nur noch eine §218-Reform eine Chance, der die FDP zustimmt. Das mag einer gefallen oder nicht, es ist so. Die FDP aber hat, je nach Koalitionspartner, immer zwischen Fristenlösung und Schlimmerem geschwankt. Das Äußerste, was zur Zeit aus dem wendigen Koalitionspartner der CDU/CSU herauszuholen ist, liegt jetzt auf dem Tisch: der Gruppenantrag für eine Fristenlösung mit Zwangsberatung, aber ohne Vorschriften für die ungewollt Schwangere.

Die entscheidenden Passagen des Reformvorschlags garantieren der Frau das Recht auf Abtreibung drei Tage nach der Beratung durch eine „Beratungsstelle, die der Frau über die Tatsache, daß sie die Informationen (...) für ihre Entscheidungsfindung erhalten hat, eine mit Datum versehene Bescheinigung auszustellen hat. Die vorausgegangene Beratung wird nicht protokolliert und ist auf Wunsch der Schwangeren anonym durchzuführen.“ — „Ihre Entscheidungsfindung“: das ist das Schlüsselwort. Das heißt, die von den SPD/FDP-Frauen jetzt erarbeitete Reform garantiert das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Sicher, die Reform macht den Kompromiß der Zwangsberatung, was in der Tat sehr ärgerlich ist, weil damit mal wieder Frauen entmündigt werden, zumindest formal. Aber: Mehr ist unter den herrschenden Verhältnissen leider nicht zu haben — eher weniger.

Dennoch droht diese Reform zu scheitern. Nicht etwa an unseren traditionellen GegnerInnen, sondern an unseren angeblichen „FreundInnen“. Denn die bevorstehende Verabschiedung der §218-Reform im Bundestag ist so dramatisch knapp, daß es um jede einzelne Stimme geht — und es wackeln zu viele. Und zwar links! Ein Glück, daß da noch ein paar Konservative sind, die für diese Fristenlösung stimmen wollen. Es sieht so aus, als würden vor allem die von Kohl noch nicht ganz so eingeschüchterten Ost-CDUler in dieser Sache widerständig handeln, denn für sie ist „die Fristenlösung eine Gewissensfrage“. InsiderInnen rechnen mit zwanzig bis vierzig CDU- Ossis, die pro Fristenlösung stimmen könnten. Die ersten Ost-CDUler, die den Antrag unterschrieben, waren Rosemarie Priebus (Neuruppin) und Angelika Pfeiffer (Leipzig). Auch Wolfgang Krause (Dessau), Joachim Schmidt (Freiberg/Sachsen) und Gerhard Schulz (Leipzig) teilten auf Emma-Anfrage mit: Wir sind mit von der Partie! Stündlich scheinen es mehr zu werden.

Von den West-CDUlern ist nicht viel zu erwarten. Die wissen einfach aus Erfahrung: So etwas kostet sie den Kopf in ihrer Partei. Sollte es dennoch dieser oder jene wagen — wie zum Beispiel Susanne Rahardt- Vahldieck (Hamburg) und Horst Eylmann (Stade) — umso beachtlicher! Auch lovely Rita Süssmuth müßte eigentlich dabei sein. Eigentlich... Für sie schlägt jetzt die Stunde der Wahrheit!

An sich könnte diese Reform auch ganz ohne konservative AbweichlerInnen verabschiedet werden, die Stimmen links von FDP/SPD würden genügen. Das macht nämlich zusammen 341, minus das halbe Dutzend rechter Hardliner unter Liberalen und Sozialdemokraten (von Dieter Julius Cronenberg, Arnsberg, bei der FDP bis Robert Antretter, Backnang, bei der SPD) — eine Mehrheit, wenn auch nur haarscharf. Also kein Grund zur Aufregung? Oh doch. Und wie! Per Fax ließ nämlich der PDS-Parteivorstand 'Emma‘ wissen, er wolle diesem „Schandparagraphen“ auf keinen Fall zustimmen. Doch zum Glück gibt es auch hier AbweichlerInnen. Der PDS- Abgeordnete Prof. Ulrich Briefs zum Beispiel ließ uns wissen: „Falls im Bundestag kein mehrheitsfähiger Antrag, der dem Selbstbestimmungsrecht der Frau näher kommt, vorgelegt wird, werde ich dem genannten Gruppenantrag zustimmen.“

Und das Bündnis90/Grüne? Jutta Oesterle-Schwerin, Ex-Bundestagsabgeordnete der Grünen und zur Zeit Assistentin der auf dem Ticket des „Unabhängigen Frauenverbandes“ Ost nach Bonn geschwemmten Christina Schenk, ließ Mitinitiatorin Würfel mit „erhobener Stimme“ schon jetzt wissen, daß ihre Abgeordnete Schenk „das auf keinen Fall unterschreiben wird!“

Der so verteufelte Kompromiß wurde von der Liberalen Uta Würfel und der Sozialdemokratin Inge Wettig-Danielmeier über Ostern ausgetüftelt. Die Politikerinnen — die seit der Wiedervereinigung etliche gute Gelegenheiten, den §218 zu kippen, verpatzt hatten! — erkannten anscheinend, daß jetzt die letzte Stunde geschlagen hat. Nach einer letzten durchgearbeiteten Nacht präsentierten sie am 8.Mai der überraschten Öffentlichkeit ihren „Gruppenantrag“, bereits abgestimmt mit dem Justizministerium.

Alle Beteiligten wissen: Eile tut not. Bis Jahresende muß die Reform nicht nur vom Bundestag verabschiedet, sondern auch vom Bundesrat gebilligt werden, sonst gilt der alte §218 gesamtdeutsch. Hinzu kommt, daß für die begleitenden sozialen Reformen — wie das Recht auf einen Kindergartenplatz! — schon jetzt kaum noch Geld da ist.

Seit über zwanzig Jahren kämpfen Frauen (und einige Männer) wieder gegen das Abtreibungsverbot und damit für eines der elemantarsten Menschenrechte von Frauen: für eine selbstbestimmte Mutterschaft. 1974 hatten wir es in der Bundesrepublik immerhin bis zur parlamentarischen Verabschiedung der Fristenlösung gebracht — die dann flugs von dem politisch mehrheitlich konservativ besetzten Bundesverfassungsgericht wieder gekippt wurde. Das Minderheitenvotum, in dem fortschrittliche VerfassungsrichterInnen nachwiesen, daß die Fristenlösung durchaus verfassungskonform ist, wird bis heute ignoriert, auch von vielen GegnerInnen des §218. 17 Jahre später lautet nun das edle Argument von Linken und sogar manchen Feministinnen (die es auch in den Reihen der SPD geben soll): „Die Reform ist nicht radikal genug, wir wollen die Streichung!“ Zu ihnen gehört auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Marliese Dobberthien (Hamburg-Altona), die 'Emma‘ gestern am Telefon allerdings versicherte: „Ich bin zwar sauer über das Hauruckverfahren, mit dem der Gruppenantrag durchgepeitscht wurde. Aber ich kann es auf keinen Fall verantworten, daß die Reform scheitert. Ich werde also auf jeden Fall dafür stimmen — wenn auch mit Bauchgrimmen!“

Verständlich, Bauchgrimmen haben wir auch. Ich, die ich wie viele Frauen seit 21 Jahren für die Streichung des §218 kämpfe und 1971 die Selbstbezichtigung initiiert habe, die den neuen Protest auslöste — ich weiß nur zu gut, wovon die Rede ist. Aber ich weiß auch, daß es in der Männerpolitik selten so geht, wie es Frauen recht ist. Bei der bevorstehenden §218-Reform geht es nicht um Utopien, es geht um ganz konkrete Mehrheitsverhältnisse im Parlament, und die entziehen sich bis zur nächsten Wahl unserem Einfluß. Darum halte ich es für einen wirklich dramatischen Fehler — um nicht zu sagen: Verrat —, aus Gründen der persönlichen politischen Hygiene die Nase zu rümpfen über diesen Kompromiß, der nicht nur den betroffenen Frauen Tag für Tag das Leben sehr erleichtern wird, sondern auch den Kern unserer Forderung enthält: die Selbstbestimmung!

Wenn (pseudo)fortschrittliche FundamentalistInnen es chic finden, feministischer als wir kompromißbereiten Feministinnen zu sein, so mag das an ihren alternativen Stammtischen gut tönen — in den Ohren der Frauen aber klingt es nach Verrat. Doppelt, da PDS und Grüne trotz unseres Drängens im Herbst 1990 tatenlos die einmalige historische Chance verstreichen ließen, noch vor den Neuwahlen eine konsequente Fristenlösung zu verabschieden. Damals wäre es machbar gewesen, damals hatten die Parteien links von CDU/CSU die Mehrheit — und konnte das Chamäleon FDP noch nicht einschätzen, wer am 3.Dezember 1990 siegen würde, war also zur Fristenlösung ohne Zwangsberatung bereit.

Für mich steht darum fest: Jeder, der diese jetzt letztmögliche §218-Reform nicht unterstützt und damit der CDU/CSU in die Hände spielt, verrät uns Frauen. Von unseren Gegnern haben wir das nie anders erwartet. Aber unsere angeblichen Freunde und Freundinnen sind ab dann keine mehr. Alice Schwarzer

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