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DEBATTEHinwendung zur Realpolitik

■ Kroaten und Serben könnten sich auch einigen — was dann?

Wie soll denn die internationale Gemeinschaft gegenüber dem Krieg in Bosnien- Herzegowina und dem gesamten Balkanraum noch reagieren? Die Antworten auf die Frage nach Lösungsmöglichkeiten bleiben so verworren wie die Verhältnisse selbst. Sie schwanken von resignierender Bestürzung (UNO) über Parteinahme gegen Serbien (EG) bis hin zur Forderung nach militärischem Eingreifen gegenüber den „Aggressoren“. Alle diese Standpunkte bleiben hilflos, weil sie von bestimmten ideologischen Prämissen ausgehen und nicht von einer realistischen Bestandsaufnahme der unterschiedlichen Interessen in diesem Raum.

Nur Serbien am Pranger?

Die Prämisse der UNO bezieht sich auf die Überparteilichkeit. Indem die Weltorganisation sich weigert, der einen oder anderen Seite nach dem Mund zu reden, hat sie eigentlich die Voraussetzungen für eine Schiedsrichterrolle geschaffen. Anders als im Golfkrieg, wo die UNO zum Instrument der US-amerikanischen Außenpolitik degradiert wurde, ist sie in Jugoslawien zu ihrer urprünglichen Rolle zurückgekehrt. Der Erfolg und das Scheitern ihres Auftrages ist jedoch an den europäischen Verhandlungsprozeß gekoppelt — die UNO versteht sich als Organ, das die Ergebnisse der Verhandlungen der EG umsetzen will. Sie unterliegt damit den Prämissen der EG. Und diese bauen nach der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens zunehmend auf einer Gegnerschaft zu Serbien auf. Dabei drückt man sich darum herum, die Ziele und die Interessen der serbischen Politik zu definieren. Mit der Gleichsetzung Milosevic-jugoslawische Armee-Tschetniks ist der alleinige Schuldige des Krieges ausgemacht. Mit diesem Bild im Kopf fällt es dann leicht, den Einsatz militärischer Mittel zu befürworten. Wer jedoch die Komplexität des balkanischen Krieges auf eine einfache, scheinbar handhabbare Formel reduziert, wird nicht in der Lage sein, den Kampf wirklich zu beenden. Er wird nur eine weitere Kriegspartei kreieren.

Kein Zweifel, die serbische Politik hat große Schuld auf sich geladen. Sie hat mit ihrem Unverständnis gegenüber den Unabhängigkeitsbestrebungen der Kroaten, Slowenen, Muslimanen und Albaner den Krieg zum großen Teil zu verantworten. Aber eben nicht nur allein. Wer könnte heute noch bestreiten, daß schon vor einem Jahr, vor dem Angriff der Volksarmee auf Slowenien, in den beiden nördlichen Republiken für den Krieg gerüstet wurde?

Die Kritik an Tudjman in Kroatien macht sich ja gerade daran fest, die Aufrüstung nicht schnell und effektiv genug organisiert zu haben und zu zögerlich im Krieg zu sein. Auch wenn von Kriegsverbrechen die Rede ist, müssen alle Seiten in die Kritik einbezogen werden. Die Mechanismen des entlang ethnischer Linien geführten Krieges sind bei allen Kriegsparteien gleichermaßen wirksam, oder anders ausgedrückt, selbst die regulären (Territorial-)Verbände beider Seiten, vor allem aber die serbischen Tschetniks und die kroatischen HOS-Ustaschen versuchen sich oftmals an Grausamkeit gegenseitig zu übertreffen. Die unterlegene Minderheit wird auf beiden Seiten so unter Druck gesetzt, daß sich diejenigen glücklich schätzen können, denen die Flucht gelingt. Der Terror ist systematisch, die kontrollierten Gebiete sollen ethnisch „rein“ gemacht werden. In Bosnien- Herzegowina zeigt sich, daß auch die kroatische Seite zu diesem Mittel greift, um sich ihr Territorium (West-Herzegowina) herauszubrechen. Keineswegs jedoch kämpft das schlechthin Gute (Europa-Demokratie-Kroatien) gegen das schlechthin Böse (östlicher Despotismus-Serbien), wie es besonders in der deutschen Sichtweise dargestellt wird.

Dialog der Nomenklatura

Es ist ein historisch beobachtbares Kennzeichen der balkanischen Politik, scheinbar nicht vereinbare Gegensätze bei veränderten Interessenkonstellationen wieder zu überbrücken. Unter diesen Umständen ist erklärbar, daß Milosevic und Tudjman, die als Vertreter der alten Nomenklatura die gleiche Sprache sprechen, in einen Dialogprozeß getreten sind. Für beide Seiten geht es um die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas, beide Seiten wollen sich auf Kosten der Muslimanen ein möglichst großes Stück aus dem Kuchen abschneiden. Auch hier zeigt sich die strukturelle Übereinstimmung des Denkens und Handelns der beiden Hauptkontrahenten. Dennoch ist diese Art der Verständigung in absehbarer Zeit die einzige Möglichkeit, realiter einen effektiven Waffenstillstand zwischen Serben und Kroaten zu erreichen. Eine Alternative geben nämlich die kroatischen Rechtsradikalen vor: Wenn der Führer der „Partei des Rechts“, Paraga, und der Verteidiger von Vukovar, Dedakovic, den Angriff auf Serbien und damit den totalen Krieg fordern, mögen sie Sympathien bei muslimanischen und albanischen Nationalisten finden, die bei einer solchen Perspektive unverzichtbare Verbündete wären. Die andere Alternative, das von vielen machtlosen Zivilisten gewünschte friedliche Nebeneinander der Nationen und Völker, ist nach den Verbrechen den Krieges und der Austreibung gerade in Bosnien-Herzegowina, der Krajina und Slawonien wohl kaum mehr lebbar.

Für alle human denkenden Menschen wird die Homogenisierungspolitik beider Seiten, d. h. die Ermordung und Vertreibung der Minoritäten, weiterhin ein Verbrechen darstellen, das vor internationalen Gerichtshöfen gesühnt werden muß. Die Umsiedlungspolitik bringt zudem zwangsläufig neue Umsiedlungen hervor. Schon jetzt propagieren serbische Nationalisten die Austreibung der Kosovoalbaner nach Albanien, um dort die serbischen Flüchtlinge aus Slawonien und anderswo anzusiedeln. Die stärksten Nationalismen setzen sich auch bei einem serbo-kroatischen Kompromiß auf Kosten der anderen durch. Unter diesem Gesichtspunkt war es durchaus sinnvoll, wenn die EG, die KSZE und die UNO von der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen ausgingen und den Staat Bosnien-Herzegowina anerkannten. Doch hat diese Politik nun ihre Grenze gefunden.

Die bittere Realität

Denn realiter hat sie nichts an dem Schrecken und der Dynamik des Krieges verändern können. Der sofortige Bruch aller Waffenstillstandsabkommen in Bosnien-Herzegowina zeigt nur, daß bei den Verhandlungen von unrealistischen Vorgaben ausgegangen wird. Nach der Konstitution einer Serbischen und faktisch auch Kroatischen Republik auf bosnisch-herzegowinischem Boden ist Bosnien zu einem rein geographischen Begriff geworden.

So bitter und risikoreich (auch in bezug auf andere Krisenregionen in Osteuropa und vielleicht auch der Welt) es ist, die supranationalen Institutionen können an der Prämisse der Unveränderbarkeit der Grenzen in Ex-Jugoslawien nicht mehr festhalten. Vorbedingung für Verhandlungen auf realistischer Grundlage muß aber sein, daß alle Betroffenen Nationen und Volksgruppen (auch die Minderheiten) zu diesen zugelassen werden. War es schon in der Vergangenheit ein Versäumnis, die legitimierten Vertreter der Albaner, Ungarn und (als Sonderfall) Roma aus dem Verhandlungsprozeß auszuschließen, so wären die Folgen unter den beschriebenen Prämissen noch fataler. Denn die Austreibung der Albaner ist erklärtes Ziel serbischer Nationalisten. Wenn schon Grenzen verändert werden müssen, dann müssen in diesem Kontext Ungarn und Albaner ihre Ansprüche bei künftigen Verhandlungen geltend machen können. Die muslimanischen Politiker allerdings müssen sich unter den gegebenen Umständen von der Idee eines drei Staatsvölker umfassenden bosnisch-herzegowinischen Staates verabschieden. Zwar würde dies nicht nur die Reduktion Bosniens auf die muslimanischen Gebiete oder deren konföderative Eingliederung nach Kroatien bedeuten, sondern auch die vorübergehende Hintanstellung des universalen Prinzips eines unabhängig von Religion und Nation definierten Staatsbürgers — und damit eine der ursprünglichen Ideen von Jugoslawien. Was ist aber jetzt wichtiger, als Wege für einen effektiven Waffenstillstand einzuschlagen? Erich Rathfelder

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