DEBATTE: Da hat sich's ausgekämpft!
■ Die SPD-Abgeordnete Inge Wettig-Danielmeier zum §218-Kompromiß
Seit Mitte Mai liegt mit dem Gruppenentwurf zum Schwangeren- und Familienhilfegesetz ein Kompromißvorschlag zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches auf dem Tisch des Bundestages mit dem erklärten Ziel, auf diese Weise eine Mehrheit für eine Reform des §218 zu gewinnen.
Seit November 1991 haben Vertreterinnen und Vertreter von SPD und FDP mit Unterbrechungen verhandelt, um zu einem tragfähigen Kompromiß zu kommen. Kaum zeigt sich die Möglichkeit einer Mehrheit, bricht der Sturm los, vor allem bei CDU und CSU, die ganz offensichtlich auf Aussitzen gesetzt hatten. Aber auch auf der Linken, bei Feministinnen, wittert frau Verrat, erklärt Christina Schenk, die SPD habe sich über den Tisch ziehen lassen.
In der Sache sind wir uns weitgehend einig: Wir wissen, daß kein Gesetzgeber eine Frau zwingen kann, eine Schwangerschaft auszutragen, die sie nicht will. Wir wollen das auch nicht, wir wollen die eigenverantwortliche Entscheidung der Frau. Wir wollen der Frau Beratungsmöglichkeiten und Hilfen geben, aber wir wollen sie ihr nicht aufnötigen. Wir wollen, daß die Regelung des Schwangerschaftsabbruches aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen wird, weil wir werdendes Leben nicht mit dem Strafrecht schätzen können und wollen.
Aber wir dürfen nicht Reformillusionen verfallen. Für diesen unseren SPD-Standpunkt gibt es keine Mehrheit im Deutschen Bundestag, selbst wenn die SPD geschlossen stimmen würde, wenn alle Abgeordneten von Bündnis 90/Grüne und der PDS mit uns stimmten, reichte das nicht für eine Reform! Ohne die FDP gibt es keine Änderung der bisherigen Rechtslage. Und mehr noch: Da auch in den großen Fraktionen SPD und FDP bis zu einem Dutzend Abgeordnete einer Fristenlösung, selbst in der Fassung des jetzigen Kompromisses, nicht zustimmen, wird der Kompromiß scheitern, wenn ihn reformwillige CDU-Abgeordnete nicht mittragen. Wer dieses nicht sieht, rechnet falsch oder redet ein Problem schön.
Die langwierigen und schwierigen Verhandlungen waren keine Frage des Über-den-Tisch-Ziehens oder nicht, sondern es stellte sich irgendwann die Frage, wollen wir die vorhandenen Reformchancen nutzen, oder wollen wir um unserer Überzeugung willen auf sie verzichten!
Das kann frau nur am Ergebnis messen: Der Gruppenantrag sieht eine eigenverantwortliche Entscheidung der Frau in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft vor, die von keinem Gericht überprüft werden kann. Voraussetzung ist allerdings, daß die Frau sich hat beraten beziehungsweise informieren lassen über die Rechtsansprüche von Mutter und Kind und die möglichen praktischen Hilfen, „die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern“.
Die Frau muß ihre besondere Konfliktlage nicht darlegen. Das Beratungsgespräch darf nicht protokolliert und kann auf Wunsch anonym durchgeführt werden.
Nach der zwölften Woche ist ein straffreier Schwangerschaftsabbruch nur noch aus medizinischen Gründen möglich. Im besonderen Fall der kindlichen Indikation gilt das bis zur 22. Woche, im übrigen unbeschränkt. Die Frau, die sich hat beraten lassen, kann bis zur 22. Woche nicht bestraft werden.
Neben der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruches in einer Klinik müssen die Länder ausreichende Möglichkeiten für einen ambulanten Schwangerschaftsabbruch schaffen beziehungsweise zulassen.
Das ist für alle alten Länder eine eindeutige Verbesserung, eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes der Frau. Aber auch in den neuen Ländern darf nicht nur die Nase gerümpft werden. Sicher, die verpflichtende Beratung ist vielen ein Dorn im Auge, auch die Bestrafungsmöglichkeit der Frau nach der 22. Woche (tatsächlich wird auch die kaum greifen, denn welche Frau, die nach der 22. Woche ohne medizinischen Grund abtreiben läßt, befindet sich nicht „in besonderer Bedrängnis“? — So haben wir Feministinnen immer argumentiert gegen die Unterstellung des Schwangerschaftsabbruchs im siebten oder achten Monat). Der Arzt oder die Ärztin sind auch in den neuen Ländern mit Strafen bedroht. Dafür wird in Zukunft, falls sich der Gruppenantrag durchsetzt, auch der ambulante Schwangerschaftsabbruch in den neuen Ländern möglich sein, ohne Erklärungsbedarf gegenüber Freunden und Verwandten für einen Krankenhausaufenthalt.
Aber das gegenwärtige Recht ist nicht die reale Vergleichsbasis. Das in den neuen Ländern geltende Recht wird keinen Bestand haben, weil selbst, wenn Karlsruhe überraschend die alte DDR-Regelung für verfassungskonform halten würde, es dauerhaft kein gespaltenes Recht geben kann — das ist sicher nicht verfassungskonform. Und dann wären wir wieder beim Bundestag und seinen hinlänglich bekannten Mehrheiten.
Was soll denn 1993 und 1994 anderes herauskommen als jetzt? Und für die vage Chance nach 1994 können wir doch die realen Möglichkeiten von 1992 nicht verspielen. Immerhin kämpfen wir seit Anfang der zwanziger Jahre für eine Fristenlösung, vergeblich! Mich ärgert, wenn die die „wahren“ Feministinnen sich aufs hohe Roß setzen und über die Pragmatikerinnen die Nase rümpfen.
Ja, ich gebe zu, mir ist diese Regelung lieber als der alte Rechtszustand, der in Memmingen seine letzten liberalen Protagonisten verloren haben sollte.
Mich ärgert die geschmäcklerische Kritik von Waltraud Schoppe. Sie fordert auf zu kämpfen. Das haben wir getan. Jetzt müssen wir rechnen, wie wir zu Mehrheiten kommen können, und wir müssen ausloten, was die Partnerinnen und Partner zu akzeptieren bereit sind. Und die können wir uns nicht backen. Aus vielerlei Gründen, auch wegen der Furcht oder meinetwegen dem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht, ist die FDP nicht bereit, eine Fristenlösung ohne Beratungspflicht zu akzeptieren. Da hat sich's ausgekämpft, liebe Waltraud! Was glaubst Du, was wir seit November letzten Jahres getan haben?
„Aufs höchste suspekt ist auch die Verknüfung von sozialen Hilfen für Familien (und Frauen) und Schwangerschaftsabbruch in einem Gesetz“, so Waltraud Schoppe. Mir ist das überhaupt nicht suspekt. Zur Kehrseite des Rechts auf eigenverantwortliche Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch gehört das Recht und die Möglichkeit, sich frei von Zwängen für eine Schwangerschaft zu entscheiden. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Frau wird aber von unserer Gesellschaft skandalös beschnitten. Wo findet denn die Frau mit Kleinkind einen Arbeitsplatz, wo findet sie einen Ganztagskindergarten, wo findet sie eine Krippe, wo läßt sie ihr Kind nach vier Stunden Schule? Die Frau, die sich für ein Kind entscheidet, muß in unserer Gesellschaft ihr Leben total umkrempeln, auf ihr eigenes Leben verzichten, abgeleitet leben, getragen von der Liebe oder der Gnade ihres Partners. Für mich als Feministin ist das unerträglich, und deshalb halte ich das Recht auf Kindergartenplatz für eine existentielle Verbesserung für Frauen.
Ich gebe meine Meinung nicht auf, wenn ich mich für einen Kompromiß einsetze. Aber als Politikerin will ich den Menschen helfen, vor allem den Frauen, und dafür nehme ich auch einen Kompromiß in Kauf. Inge Wettig-Danielmeier
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