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DEBATTEPolnische Mixtur

■ Langsam kommen sich Regimelinke und Solidarność-Linke näher

Vor vier Jahren saßen sie einander am Runden Tisch gegenüber. Damals waren die Fronten noch klar: hier „wir“, die Gesellschaft, die Vertreter ganz Polens, dort „die da oben“, die Vertreter der verhaßten kommunistischen Macht, die sich unter dem Druck von Streiks, Protesten und Wirtschaftskrise bereitgefunden hatten, ein Stück ihrer Macht abzugeben. Damals saß Waldemar Pawlak, Polens neuer Premier, auf der anderen Seite des Tisches, bei General Kiszczak und den Mitgliedern des Politbüros der PVAP. Lech Walesa, der als Präsident nun Pawlak zum Premier ernannte, führte das Lager der Opposition an. Nach dem Runden Tisch trommelte Pawlak bei den Wahlen für die „Vereinigte Bauernpartei“ und — als Teil der Regierungskoalition — für die Kommunisten. Nach den Wahlen nannte sich die Vereinigte in „Polnische Bauernpartei“ um, schickte ihre alten Führer in die Wüste, nahm einige Vertreter der Solidarność-Bauern in ihre Reihen auf und tat, als wäre nichts geschehen.

Für die Gewerkschafter der Solidarität ist es Prinzipienverrat, daß Walesa nun einen Vertreter der „alten Macht“ zum Premier ernannt hat. Die rechten Parteien um den früheren Premier Olszewski haben eine Propagandakampagne gegen die „Rekommunisierung“ losgetreten, die bereits Tadeusz Mazowiecki, den Führer der linksliberalen „Demokratischen Union“, dazu veranlaßte, zu versichern, seine Partei werde eine „Rekommunisierung“ nicht zulassen. Ein Bündnis mit den ehemals kommunistischen „Sozialdemokraten der Republik Polens“ (SdRP) werde es nicht geben. Tatsächlich allerdings wird mit der Kampagne nicht so sehr versucht, eine Regierung Pawlaks zu verhindern, sondern den Normalisierungsprozeß in Polen zu verzögern. Normalisierung, das heißt heute Aufhebung der Teilung in „die da oben“ und „wir“.

Weiter unten, auf der Ebene der Parteien, findet diese Normalisierung jedoch bereits statt. Marcin Swiecicki, dem man nachsagt, er sei nur aus Karrieregründen in die Partei eingetreten, und der es dann im Endstadium der Partei bis zum ZK-Sekretär und Minister für Außenwirtschaft brachte, ist heute Mitglied der „Demokratischen Union“. Allzu weit vor wagt er sich da nicht, um den Rechtsparteien keinen Grund zu Angriffen auf seine neue Partei zu liefern. Die dagegen haben zugleich wenig Grund, auf andere mit Fingern zu zeigen. Im Wahlkampf des letzten Jahres fanden sich plötzlich Funktionäre des Polnischen Katholisch-Sozialen Bundes (PZKS) auf den Listen der Christnationalen, die genauso den Anspruch auf eine unbefleckte Solidarność-Herkunft erheben wie das Zentrum, das frühere PAX-Mitglieder bis in Führungsfunktionen hievte. Sowohl PZKS als auch PAX waren treue Bündnispartner der PVAP, sogenannte Blockparteien, die der Partei selbst zu Zeiten der Regierung Mazowiecki noch die Treue hielten.

Still und leise sind viele Vertreter der alten Macht in die neuen Parteien eingetreten, Abgeordnete ehemaliger Blockparteien sind heute in fast allen Parteien der Solidarność-Bewegung. Strikt auf Distanz gingen dagegen bisher vor allem linke und linksliberale Parteien zu Vertretern der früheren PVAP. Als die sich auflöste, entstand die „Sozialdemokratie der Republik Polen“, in der sich frühere Apparatschiks, Reformer und Sozialdemokraten trafen.

Linksliberale wie Adam Michnik finden ohnehin, die Trennlinie verlaufe heute in Polen nicht mehr zwischen Nomenklatura und Solidarność, sondern zwischen Europäern, d.h. nach Westen orientierten, toleranten Liberalen und Polonizentristen, d.h. national bis nationalistisch orientierten Vertretern autoritär- klerikaler Denkschulen. Diejenigen dagegen, die er der letzten Tendenz verdächtigt, ziehen es vor, das politische Spektrum in Kommunistenfreunde und Antikommunisten aufzuteilen. Und wo keine Kommunisten mehr sind, muß man sie eben erfinden, um sich als strammer Antikommunist ausweisen zu können. Das ist dann auch ein Versuch, zu konservieren, was bisher als Folge von 45 Jahren Realsozialismus in der Bevölkerung abreagiert wird: ein Trend zu allem, was sich selbst als rechts definiert.

Man muß kein Prophet sein, um vorauszusehen, daß sich in absehbarer Zeit auch der sozialdemokratische Flügel der SdRP und der linke und linksliberale Flügel der Demokratischen Union näherkommen werden. Auf gesellschaftlicher Ebene sind die Duzfreundschaften zwischen beiden Parteien ohnehin ständiges Thema der Klatschspalten der Boulevardpresse. Um so mehr, als der linke und linksliberale Flügel der Union personell einflußreicher ist als die „Fraktion der demokratischen Rechten“, die häufig mit Zentrum und Christnationalen abstimmt. Der Kampf zwischen alter PVAP-Garde und jungen Reformern, welche die Partei vom Odium der PVAP-Nachfolge befreien möchten, ist dagegen innerhalb der SdRP noch immer nicht entschieden. Schließlich hat sich praktisch überall in Osteuropa, von Litauen über Ungarn bis in die ehemalige DDR gezeigt, daß es sich materiell (in Stimmen und Geld gemessen) einfach lohnt, auf das kommunistische Erbe nicht zu verzichten. Bis die Auseinandersetzung entschieden ist oder die Exkommunisten ihre Karenzzeit auch in den Augen der Gegner abgesessen haben, wird die stille Vereinigung auf Parteiebene zwischen altem und neuem System weitergehen. So lange werden die rechten Parteien von der Gefahr einer „Rekommunisierung“ reden und die linksliberalen es ablehnen, sich mit SdRP-Leuten an einer gemeinsamen Regierung zu beteiligen.

Lech Walesa hat bereits mehrfach versucht, diesen Prozeß zu beschleunigen. Er sprach davon, daß „Polen auch ein linkes Standbein braucht“, wollte eine Vertreterin der radikalreformerischen und deshalb heute bedeutungslosen „Sozialdemokratischen Union“ (heute parteilos) zur Chefin des Obersten Rechnungshofes machen und ernannte nun einen ehemaligen politischen Gegner zum Premier. Seither reden Walesas Gegner davon, der Präsident habe sich zum Werkzeug der kommunistischen Nomenklatura machen lassen, er schütze die kommunistischen Verbindungen in Armee, Polizei, Betrieben und Banken.

Doch jene Wirtschaftsaffären, die Polen in den letzten Monaten und Jahren erschüttert haben, sind keineswegs nur auf Nomenklatura- Bande zurückzuführen — auch die Solidarność-Parteien haben sich kräftig bedient. Vermutlich ist die Aufspaltung in Vertreter des „alten“ und des „neuen“ Systems in der Schattenwirtschaft sogar zuerst verschwunden. Daß Walesa den Verschmelzungsprozeß vorantreibt, hat praktische Gründe: Nur wenn Rechte und Linke sich einigermaßen aufwiegen, hat er Chancen, sie gegeneinander auszuspielen und selbst eine Schiedsrichterposition einzunehmen. Bisher jedoch ist Polens „rechtes Standbein“ überentwickelt, Polens exkommunistische Sozialdemokraten säßen im Sejm „isoliert wie Aidskranke“, so etwa General Jaruzelski, parteilos, der sich aus der Politik zurückgezogen hat. Eine Regierung mit ihrer Beteiligung ist zur Zeit noch undenkbar, wie die Reaktionen auf Pawlak zeigen.

Doch auch für die Solidarność- Parteien ist das nicht unproblematisch: Eine Kontraktion, bei der nur die SdRP in der Opposition bleibt, würde ihr automatisch ein riesiges Reservoir an Protestwählerstimmen erschließen. Und eine starke, regierungsfähige SdRP, die sich somit auch nicht von ihrem PVAP-Flügel trennen müßte, das wäre aus der Sicht ihrer Gegner ein viel größeres Risiko denn eine relativ schwache Partei, die sich an ihre politische Umgebung anpassen muß. Klaus Bachmann, Warschau

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