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DEBATTEDawies Alptraum, seine Hoffnung

■ Liegt der Schlüssel für Südafrikas Zukunft im Föderalismus?

Nur wenige Stunden, nachdem die zweite Verhandlungsrunde der Konferenz für ein demokratisches Südafrika (CODESA II) in einer Sackgasse geendet hatte, klopfte ich an die Tür eines abgelegenen Bauernhofes in den Drakensbergen. Ein schnurrbärtiger Bure in kurzen Hosen öffnete und stellte sich mir als Dawie vor. Ich erklärte ihm, daß mein Auto nicht weit von hier im Straßengraben festsitze. Da die nächste Stadt rund siebzig Kilometer entfernt war, fragte ich ihn, ob er den Wagen herausziehen könnte. Na klar, Dawie half mir gern.

Unterwegs gaben wir Südafrikas nationaler Leidenschaft nach und sprachen über Politik. Dawie sah keine Hoffnung für das Land. Für ihn war Nelson Mandela eine Art Idi Amin in spe, der African National Congress (ANC) eine blutdürstige Gang kommunistischer Terroristen. „Ich werde nicht unter dem ANC leben“, sagte Dawie, „wenn schon, dann hätte ich lieber Krieg und wäre erledigt.“ Kurz: Dawies Ansichten waren sehr konservativ und rassistisch. Und doch schien er mit seinen Nachbarn im Xhosa-Homeland Transkei, das an sein Land grenzt, ganz gut auszukommen. Er und die Xhosa-Kleinbauern auf der anderen Seite des Zaunes verkaufen sich gegenseitig Kühe und Schafe, erweisen sich kleine Gefallen, tauschen Ratschläge über Viehkrankheiten und -diebstahl aus. „Die kaffirs in dieser Gegend sind gar nicht so übel“, sagte Dawie, „es sind die Typen im ANC, die den ganzen Ärger machen.“ Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß Dawies Nachbarn natürlich ANC-Mitglieder sind — er lebt schließlich an der Grenze zur Transkei, die zu den loyalsten ANC-Hochburgen zählt. Dawie möchte auch Präsident de Klerk dafür erschießen, daß er mit dem ANC verhandelt. Aber er, Dawie, tut genau das seit Jahrzehnten — und das gibt Anlaß zur Hoffnung für die Zukunft unseres Landes.

Die Anfangseuphorie wich Trostlosigkeit

Halten wir an diesem Punkt einmal inne und betrachten den gegenwärtigen Stand der südafrikanischen Politik. Von der Euphorie nach Mandelas Entlassung ist nichts mehr zu spüren, die Stimmung der Nation ist besonders seit dem Beinahe-Scheitern von CODESA II trostlos. Eine Mehrheit der Weißen — Anhänger de Klerks — scheint willens, die Macht mit der schwarzen Mehrheit zu teilen, aber sie nicht völlig aus der Hand zu geben. Und weniger als das ist für Mandelas ANC völlig unannehmbar.

Schon hierin allein liegt Potential für einen Bürgerkrieg, aber Südafrika hat mit noch schlimmeren Problemen zu kämpfen — Armeen von militanten Zulu, die gelobt haben, lieber zu sterben, als sich mit einer ANC-Herrschaft zu arrangieren; beinahe einer Million weißer Rechtsradikaler, die ähnlich fühlen; allen möglichen ethnischen und ideologischen Minderheiten, die beunruhigt sind über ihre Zukunft. Während ich schreibe, werden die Kriegstrommeln in einer Weise geschlagen, die an die erschütternde Zeit Mitte der achtziger Jahre erinnert: die De- Klerk-Regierung rasselt mit den Säbeln, der ANC mobilisiert seine Legionen zu Massenaktionen. Extremisten erschießen Aktivisten, und Polizisten jagen Unterkünfte der Wanderarbeiter in die Luft und zetteln Unruhen in den Townships an.

Und nun? Wie kommen wir aus diesem Schlamassel wieder raus? Meiner Meinung nach können wir die größte Hoffnung in die Ideen von Leon Louw und Frances Kendall setzen, Anwälte einer Intensiv-Demokratie mit starken föderalen Elementen, die in wesentlichen Zügen dem Schweizer Modell recht nahekommt. Der Entwurf von Louw und Kendall fordert eine föderale Verfassung und einen Grundrechtekatalog, der volle Gleichheit für alle südafrikanischen Bürger garantiert und vor einem Bundesgericht einklagbar ist. Die Bundesregierung wäre für Verteidigung, Zentralbank und Außenpolitik verantwortlich, aber alle anderen Aufgaben würden regionalen Körperschaften übertragen. Die Idee ist, die ethnischen und ideologischen Monolithe aufzusplittern, den mörderischen Machtkampf auf nationaler Ebene in pragmatische Verhandlungen über örtliche und regionale Angelegenheiten zu wenden — Erziehungswesen, Verteilung von Ressourcen, Steuerpolitik und so weiter.

Die gegenwärtige Regierung und vor allem der ANC lehnen diese Idee ab. Aber sie würde Hoffnung in einem Klima schaffen, in dem es sehr wenig Hoffnung zu geben scheint. Überall im Lande würden ethnische und ideologische Minderheiten, die eine Dominanz weit entfernter, allmächtiger nationaler Bürokratie fürchten, weniger besorgt auf Veränderungen reagieren, sie würden weniger wahrscheinlich als heute für die Verteidigung des Status quo zu den Waffen greifen. Von einem Mann wie Dawie zum Beispiel würde nicht mehr verlangt, mit den marxistischen Dämonen aus seinen Wahnvorstellungen zurechtzukommen, sondern mit dem schwarzen Direktor der örtlichen Schule, dem Vorsitzenden der nächsten ANC- Bürgervereinigung, seinen Xhosa- Nachbarn und Farmarbeitern — Schwarze, die er seit Jahren kennt, mit denen ihn zumindest ein bißchen Gemeinschaftssinn verbindet, mit denen er bereits einen Modus vivendi erreicht hat.

Eine föderale Verfassung sollte einen ähnlichen Beruhigungseffekt auf Zulu-Nationalisten haben. Der blutige Inkatha/ANC-Konflikt der vergangenen zwei Jahre hat nachdrücklich klargemacht, daß diese Menschen (nach jüngsten Umfragen etwa zehn Prozent der WählerInnen) unter keinen Umständen unter einer ANC-Regierung leben wollen. In Ermangelung irgendeiner Alternative könnten sie gemeinsame Sache mit den starrköpfigen weißen Rechtsradikalen machen und das Land in einen Bürgerkrieg stürzen — eine so schreckliche Aussicht, daß es unvernünftig wäre, den Zulu nicht ein bestimmtes Maß an Autonomie in einem überwiegend von Zulu bewohnten Teilstaat zu gewähren.

Und pflügt dann friedlich sein Land...

Aus dem gleichen Grunde wäre es wesentlich einfacher, burische Hitzköpfe in einer föderalen Demokratie zu besänftigen als in einem zentralistischen Südafrika. Nehmen wir einmal die 226.000 weißen WählerInnen in West-Transvaal, Heimat des Neonazis Eugene Terreblanche. Diese BurInnen würden in einer landesweiten Wahl völlig untergehen, machen sie doch weniger als ein Prozent der Stimmen aus. In einem föderalen System könnten sie es jedoch schaffen, 25 Prozent der Sitze in einem Regionalparlament zu kontrollieren und so ein bestimmtes Maß an Kontrolle über ihr eigenes Schicksal in der Hand behalten. Wenn sie dann noch ihre rassistischen Prinzipien aufgeben, Allianzen mit schwarzen Konservativen schmieden, schwarze Hände schütteln und schwarze Babys küssen, könnten sie noch mehr Macht erringen. Sollte das nicht gelingen, könnten die wahrhaft rassistischen Starrköpfe noch immer in Bundesstaaten in der nördlichen oder westlichen Kapprovinz ziehen, dem einzigen Landesteil, in dem schwarze Afrikaner in der Minderheit sind. Solche Bundesstaaten würden keine Ähnlichkeit mit dem weißen Homeland haben, das von weißen Ultrarechten gefordert wird. Und doch wären sie afrikaanssprachige Gemeinwesen, die mit großer Wahrscheinlichkeit von Koalitionen aus Afrikaanern und Coloureds, die Umfragen zufolge zu 70 Prozent die gegenwärtige Regierung unterstützen, regiert würden.

Diese bescheidenen Vorschläge bieten keine Garantie für Frieden oder Stabilität. Weiße und städtische Zulu müßten sich immer noch mit dem Gedanken vertraut machen, unter einer ANC-Regierung zu leben, denn der ANC würde die Macht in den meisten Bundesstaaten erringen. Es würde immer noch scharfe Auseinandersetzungen in den Bundesstaaten geben, vor allem über solche umstrittenen Dinge wie die Verteilung des Wohlstands. Ein Bure wie Dawie könnte die örtliche ANC- Kontrolle ebenso bedrohlich finden wie die Dominanz des nationalen ANC und auf jeden Fall auf den Kriegspfad gehen. Andererseits könnte er aber auch sagen: „Verdammt, ich kenne diese Leute, und wir könnten zusammen etwas in Gang setzen.“ Und dann würde er zurückgehen, um friedlich sein Land zu pflügen. Rian Malan

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