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DEBATTEWas nicht paßt, wird nicht gedacht

■ Langsam wird mir unbehaglich, betrete ich den Osten

Als die Konservendose DDR verscherbelt wurde, verschlug es mir den Atem: In den Kaufvertrag wurden Minen gelegt, unübersehbar — daß die hochgehen, war nur eine Frage der Zeit.

Keinen im Osten schien die absehbare Katastrophe zu kümmern: Nicht die Bürgerrechtler, die gerade ihren Fuß in die Tür der Normannenstraße setzten, nicht die Blockflöten, die eifrig den Wendemarsch übten. Und selbst jene, die nun „Verrat“ schreien, waren mit Wichtigerem beschäftigt: Die Einheitsgenossen mit dem Wegzaubern von Akten und Volkseigentum, die Intelligenzia mit ihrem Trauerbad in der geplatzten Seifenblase „Für unser Land“. Niemand derer, die jetzt „Kolonisatoren“ und „Plattmacher“ rufen, hat sich dem Einheitsvertrag in den bedenklichen Wortlaut geworfen. Das wäre endlich mal festzuhalten. „Der Westen hat uns plattgemacht!“ ist nur die halbe Wahrheit, man hat sich auch plattmachen lassen.

Im Einheits-Herbst 90 fragte ich mich, was wohl die Führung der Ost- CDU — die Krauses, de Maizieres und Diestels — zur Unterzeichnung der Klausel „Rückgabe vor Entschädigung“ bewogen haben könnte — persönlicher Karrierismus, ein auf Zuspitzung zielendes Kalkül der Staatssicherheit — oder eine Mischung aus beidem?

Heute, da sich im Osten ein neues Zentralkomitee gebildet hat — diesmal eines für Gerechtigkeit — stellt sich mir die Frage erneut. Jene jedenfalls, die sich nun so heroisch das Koppel des Löschkommandos umschnallen, gießen, schaut man genauer hin, kräftig Öl ins Feuer. Sie löschen nicht, sie schüren, heizen an. Das Neue Deutschland schließt einen Bürgerkrieg nicht aus.

Nichts gegen berechtigten Zorn. Was lange gärt, soll endlich Wut werden — und die aufmüpfigen Betriebsräte, die zahlreich an der Ost- Basis entstandenen Bürgerinitiativen sind eine angemessene Antwort auf Bonner Laxheit, kalte Treuhandschaft. Doch geschieht neben dem Zurückbeißen getretener Ost-Menschen eben noch etwas anderes. Etwas mir sattsam Bekanntes.

So findet sich die ungebrochene Larmoyanz, der zu keiner Differenzierung mehr fähige Haß auf den Westen schlechthin, vor allem dort, wo reichlich alte DDR-Journaille versammelt ist — in Brandenburg, dem Rettungsboot des Deutschen Fernsehfunks,in Ost-Berlin, wo man die Printmedien besetzt hält wie in schlechten alten Zeiten. Besetzt hält trotz Kolonisatoren, sprich: butterweichen West-Chefs.

Von Enteignung zumindest in diesem Bereich keine Spur, hier geht der Klassenkampf weiter. Sortiert wird seit Monaten und nach bewährtem Muster: die Guten ins Ost-Töpfchen, die Schlechten ins West-Kröpfchen. Aus Bürgerrechtlern wurden Hexenjäger, aus Gysi/Diestel/Stolpe/de Maiziere das Robin-Hood-Quartett des gebeutelten Ost-Volkes. Schwungvoll wird stets in die Glut geblasen, und stets nur in die eine Richtung. So ist längst aus dem Ost- Gedächtnis entschwunden, daß nicht nur das Kapital am Hals der Ex-DDR saugt, sondern auch mancher Genosse. Den (bislang) mehr als tausend aufgespürten Fällen von Wirtschaftskriminalität jedenfalls, bei denen sich happige Batzen Volkseigentum in den privaten GmbH-Taschen von Einheitsgenossen wiederfanden, kommt nicht einmal mehr der Stellenwert einer Bagatelle zu.

Wie viele Exemplare des ND beispielsweise finden sich im Stapel von 27 Zeitungen, die das Redaktionskollektiv eines vielgelesenen Ostberliner Wochenblattes zur täglichen Information braucht? Insider-Antwort: 24! Wen wundert's, wenn sich der Graben von Woche zu Woche vertieft. Und er vertieft sich. Wo die Bretter vor den Köpfen festgenagelt sind, ist schon jetzt kaum mehr möglich, was man ein Gespräch, einen Austausch von Gedanken nennt.

Heute in Potsdam oder Friedrichshain meine niedersächsischen Freunde zu erwähnen, die ihren Arbeitsplatz (und damit auch ihr Gehalt!) freiwillig miteinander teilen, kommt ebenso einer Provokation gleich wie die Bitte um Differenzierung oder der zaghafte Verweis gegenüber Künstler-Kollegen, daß in Bremen nicht nur einige, sondern sämtliche ABM-Stellen im Bereich Kultur gestrichen wurden. Gestrichen zugunsten des Ostens.

Was nicht ins Bild paßt, wird nicht mehr gedacht, Haß kennt keine Differenzierung. Und nun also auch noch die „Gystel“-Kreation, das Komitee. Langsam wird mir unbehaglich, wenn ich den Osten betrete... Freya Klier

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