piwik no script img

DEBATTEBereichert Euch!

■ Auf dem Blockfreien-Gipfel in Djakarta meldete sich der Nord-Süd-Konflikt — mit besonderer Note — zurück

Eine der größten internationalen Organisationen geistert seit über dreißig Jahren im deutschen Sprachraum unter falschem Namen herum. „Bewegung der Blockfreien“ nennt man hierzulande den Staatenbund, dessen Gipfeltreffen gerade im indonesischen Djakarta zu Ende gegangen ist. Eigentlich, im englischen Original, heißt das Ding Non-Aligned Movement — zu deutsch etwa: Bewegung der Nicht-Angepaßten, was ihren gegenwärtigen Zustand sehr viel genauer ausdrückt. Als Gruppierung derjenigen Länder, die ihren Platz in der Welt außerhalb der Ost-West- Blockkonfrontation orteten, ist die „Bewegung“ passé. Als Forum der Widerborstigkeit gegen dominante Trends kann sie auf eine strahlende Zukunft hoffen.

Jedenfalls markierte Djakarta eine Hinwendung zum Nord-Süd- Konflikt, in dem sich die „Blockfreien“ als Verkörperung eines als non-alignment, als Nichtangepaßtheit eben, verstandenen Süd-Geistes sehen. Die Gipfelreden strotzten geradezu vor Anklagen gegen einen global nivellierenden Norden, dessen Griff zur weltumspannenden Einförmigkeit Widerstand entgegengesetzt werden müsse. Als größte Zusammenkunft von Staatsoberhäuptern seit dem UNCED-Umweltgipfel von Rio diente Djakarta als willkommenes Forum zur Artikulation des Protestes gegen ökologische Selbstbeschränkung in der Dritten Welt. Nicht zufällig — im Zeichen des Bosnien-Konflikts — waren es auch zwei muslimische Staatschefs, Ali Akbar Haschemi Rafsandschani aus Iran und Malaysias Mohamed Mahathir, die am lautesten gegen den herrschaftssüchtigen und egoistischen „Westen“ wetterten.

Was früher von Foren der Dritten Welt erwartet werden konnte — der Widerspruch gegen den Weltkapitalismus — wurde hingegen in Djakarta auffallend tief gehängt. Die „Nichtanpassung“ der Staatschefs des Südens ging nicht in die Richtung, wie sie sich Träumer im Norden zuweilen wünschen: nämlich eine totale Abkoppelung vom Wachstumsmodell der Reichen und eine Rückkehr zu einem kommunitaristischen Modell der Harmonie und Selbstgenügsamkeit. Gerade Harmonie und Selbstgenügsamkeit gelten vielmehr als Zwänge des Nordens gegenüber den Staaten des Südens, um das ungebremste Wachstum der letzteren zu beschränken. Eine in Washington und Bonn beheimatete Palette aus Menschenrechts- und Umweltschutzideologien wird am Werk gesehen, Verhinderer der Entwicklung und Garanten des nördlichen Machtmonopols. Der von Norden kommende offenkundige Opportunismus in vielen Fragen der internationalen Beziehungen, gedeckt durch die ungleiche Machtverteilung in der UNO, dient dafür als Beleg, und die in Djakarta geäußerten Forderungen nach UNO-Reform zielen für nicht wenige Staatschefs, denen Demokratie im eigenen Land wenig bedeutet, auf Gegenwehr.

Eingefordert wird nichts weniger als das Recht auf eigene Entwicklung — was eben auch heißt, so viele Menschen zu opfern und so viele Umweltsünden zu begehen, wie es sich jedes entwickelte Land in seiner Geschichte zur Förderung des Nationaleinkommens erlaubt hat. Und, wenn auch unausgesprochen: die Freiheit, nach eigenem Gutdünken Geld zu verdienen, ob dies den Gepflogenheiten des Welthandels- und Weltfinanzsystems entspricht oder nicht. Warum nicht Kokain exportieren, wenn dies das Bruttosozialprodukt steigert? Warum nicht Atombomben bauen, wenn es dem technologischen Fortschritt dient? Gründen die Staaten des Nordens ihre Macht denn nicht auf Bruttosozialprodukt und technologischen Fortschritt?

Mit den Worten „Bereichert Euch!“ hatte Deng Xiaoping Chinas Abkehr vom Sozialismus auf einen Nenner gebracht. Der „Gipfel der Nichtangepaßten“ in Djakarta hat das Recht auf ungestörte Bereicherung zum Schlachtruf erhoben. Gewünscht wird der von Vorteilen zugunsten des Nordens bereinigte und daher für die Eliten des Südens gleichermaßen wohlstandsfördernde Kapitalismus. „Bereichert Euch!“ ist die neue Kampfparole des Nord- Süd-Konflikts.

Paradox ist dies nur auf den ersten Blick. Alle Statistiken der Welt — über die wachsende Auslandsschuld der Entwicklungsländer, die negativen Kapitalzuflüsse und das sinkende Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt in einer großen Anzahl von Staaten — können nicht verbergen, daß es sich bei der wachsenden Armut nicht um die Verelendung der Dritten Welt handelt, sondern um eine Verelendung innerhalb der Dritten Welt. Nicht die Kluft zwischen Eliten des Nordens und des Südens wächst — die Gräben zwischen Reichen und Armen im Süden werden immer tiefer, die Mauern um die Villenvororte immer höher, die Ausgrenzungsmechanismen dieser Ein- Drittel-Gesellschaften — genauer: Ein-Zehntel- oder Ein-Hundertstel- Gesellschaften — immer undurchdringlicher.

Djakarta war die Versammlung der Drittel, Zehntel und Hundertstel; es trafen sich vollwertige Mitspieler der Weltwirtschaft, Vertreter kaufkräftiger Konsumenten, Investoren und Spekulanten. Wen wundert also, wenn sie auf ihr Recht pochen, die noch bestehenden finanziellen und politischen Schranken zum Klub der Reichen und Mächtigen niederzureißen? Sie wollen hinübersteigen und eintreten, um die Barrieren hinter sich wieder aufzubauen, zur Abwehr der eigenen Gesellschaften.

Nichtsdestotrotz handeln die Fensterreden von Djakarta aber tatsächlich von reellen Problemen. Die Kontroverse zwischen ungehemmtem und sozial- oder umweltverträglichem Wachstum ist noch lange nicht ausgefochten, ebensowenig wie die um das Wesen internationaler Staatengemeinschaften wie die Vereinten Nationen. Die Vokabel des Nord-Süd-Konflikts maskiert den darin enthaltenen Ideologiestreit, dessen Wurzeln sich bis in die Anfänge der politischen Ökonomie im 18. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Dient ein auf privatem Unternehmergeist basierender Freihandel dem Wachstum besser als eine staatliche Protektion der eigenen Produzenten? Läßt sich der Wohlstand einer Nation eher an den natürlichen Reichtümern des Landes messen oder an den erwirtschafteten Reichtümern seiner Bewohner? Diese alten Fragen leben hier wieder auf, zum ersten Mal in der Geschichte in einer nicht mehr auf Europa beschränkten Diskussion.

Nach dem Jamboree von Rio bedurfte es wohl eines Gipfeltreffens der „Nichtanpassung“, um die Pluralität der bestehenden Meinungen sichtbar werden zu lassen. Solche Rummelplätze der Staatsoberhäupter haben den Vorteil, die bekannten Nuancen der Diskussion hinter einer in der Selbstüberschätzung von Politikern angelegten polemischen Zuspitzung zurücktreten zu lassen. Dies kann der Klarheit dienen, aber auch der Konfusion. „Umwelt, Menschenrechte und demokratische Systeme sind alle zu Instrumenten der ökonomischen Beherrschung geworden“, schimpfte in Djakarta der Malaysier Mohamed Mahathir — Premier eines Landes, das seinen Wirtschaftsaufschwung auf massive ausländische Investitionen gründet. Er wollte wohl mißverstanden werden. Dominic Johnson

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen