: DDR–Kirchenhimmel öffnet sich nach unten
■ DDR–Kirchentag in Ost–Berlin: Nicht aussteigen, sondern offen sein / Kirchenoberen nehmen an der Gegenveranstaltung, dem „Kirchentag von unten“, teil / Proteste bei der offiziellen Eröffnung / Diskussion um Gorbatschow–Reformen bislang nicht vorgesehen
Berlin (dpa/taz) - Mit sechs Gottesdiensten begann am Mittwoch abend der erste Kirchentag in Ost– Berlin seit dem Mauerbau. Er wird bis kommenden Sonntag andauern. In Anspielung auf die äußere und innere Emigration vieler Christen in der DDR steht die Veranstaltung unter dem Motto „Und ich will bei Euch wohnen“. Auf dieses Leitwort ging vor allem der Ost–Berliner Superintendent Günter Krusche auf einem der Eröffnungsgottesdienste näher ein und rief die Christen der DDR auf, „nicht auszusteigen“. Angesichts zunehmender Kritik von der Kirchenbasis forderte er, die Kirche müsse offen sein „für die Fragenden und Ratlosen“ ebenso wie für die „Glaubenden und Hoffenden“. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch die kirchenkritische Gegenveranstaltung, den „Kirchentag von unten“. Den Eröffnungsgottesdienst in der Marienkirche, an der zahlreiche staatliche Vertreter teilnahmen, nutzten Mitglieder der „Kirche von unten“, um mit Flugblättern auf das Alternativ–Ereignis hinzuweisen. „Mit einer Kirche, die sich zu sehr anpaßt, sind keine Veränderungen möglich“ und „Sie denken ja doch nur an ihre Gehälter“, riefen sie in die Runde der 1.300 Gäste. Soweit zu erfahren war, hat diese Protestnote kein Nachspiel gefunden. Kirche und Staat hatten die Initiative verschiedener DDR–Basisgruppen zunächst mit großem Mißtrauen betrachtet. Zumal - falls keine geeigneten Räume gefunden werden könnten - eine Kirchenbesetzung angedroht wurde. Nach langen Verhandlungen hat man sich aber noch kurzfristig am Mittwoch nachmittag auf einen Veranstaltungsort in der Pfingstgemeinde am Kotikow– Platz einigen können. Unter dem Titel „Götterspeise“ wollen sich die drei Kirchenoberen, Generalsuperintendent Krusche, der Ost– Berliner Bischof Forck sowie Konsistorialpräsident Stolpe den kritischen Fragen der Basis stellen. Nachdem im Vorfeld des Kirchentages einige DDR–Bürger ein Ost–Berlin–Verbot erhalten hatten, hat sich die Kirche jetzt schützend vor sie gestellt und ihnen persönliche Einladungen zukommen lassen. Schwerpunkt des „Kirchentages von unten“ wird zweifelsohne das problematische Verhältnis zwischen Kirchenleitung und Kirchenbasis sein. Nicht zuletzt aus Ärger über das offizielle „Bonzenspektakel“ und die zunehmende „Vetternwirtschaft der Staats– und Kirchenhierarchie“ hatten die Initiatoren diese Gegenveranstaltung vorbereitet. Für die verschiedenen Diskussionsforen am Wochenende sind bislang Gespräche über die Gorbatschow– Reformen und die Pfingstereignisse vor dem Brandenburger Tor nicht ausgewiesen. Da diese Themen aber nach wie vor vielen kritischen DDR–Bürgern unter den Nägeln brennen, wird damit gerechnet, daß sie dennoch zur Sprache kommen.
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