: DDR–Kirche kritisiert Ausreisepraxis
■ Synode der Evangelischen Kirche der DDR: Bonn trage indirekte Mitverantwortung an Ausreisen / Deutsch–deutsches Abkommen über Ausreisen gefordert / Kritik an Zensur in der DDR
Berlin (epd/dpa/afp/taz) - Für die Probleme, die die DDR mit ihren ausreisewilligen Bürgern hat, trägt die Bundesrepublik nach Ansicht der Evangelischen Kirche in der DDR eine „indirekte Mitverantwortung“. In einem Antrag, der auf der Schlußsitzung der Synode der Evangelischen Kirche von Berlin–Brandenburg angenommen wurde, heißt es: „Die staatsrechtlichen und ökonomischen Erleichterungen für DDR– Bürger wirken als Abwerbemechanismus, der verbunden mit der organisierten Erstarbeitsplatzbeschaffung immer wieder DDR– Bürger in Versuchung führt.“ Daher solle geprüft werden, ob in die ser Frage bilaterale Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten notwendig seien. Vor der Abstimmung über die Vorlage hatte der Bischof von Berlin–Brandenburg, Gottfried Forck, gesagt: „Die Bundesregierung muß Farbe bekennen, wie es in der Ausreisefrage weitergehen kann und soll.“ Bonn sage immer, „ihr seid alle herzlich willkommen“, unter der Hand heiße es aber, „mehr als 1.200 im Quartal dürfen es nicht sein“. In der DDR schaffe die Auswanderung Probleme. So hätten etwa in Greifswald, einer Stadt mit 62.000 Einwohnern, 25 Ärzte einen Ausreiseantrag gestellt. Zugleich appellierte die Synode an die DDR–Führung, „Ungewißheiten und Ungerechtigkeiten in Ausbürgerungsverfahren auszuräumen“. Vor allem müsse deutlich sein, daß Ausreisewillige, die ihren Antrag zurückziehen, keine Benachteiligungen erfahren. Auf einhellige Kritik stieß in den Beratungen der Synode immer wieder die restriktive Informationspolitik der SED–Führung, die in den Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen zu Verunsicherung, aber auch zu Entsetzen und Wut in den Gemeinden geführt hatte. Um so größer war die Überraschung, daß just das SED–Zentralorgan Neues Deutschland, das sich im übrigen über die Beratungen der 125 Synodalen ausgeschwiegen hatte, am Wochenende jenen bemerkenswerten Prawda–Artikel publizierte, der die Perestroika gegen Anwürfe aus den eigenen Reihen verteidigte: „Demokratie ist nicht möglich ohne Gedanken– und Meinungsfreiheit, ohne offenen und umfassenden Meinungsstreit, ohne kritischen Blick auf unser Leben.“ Ganz in diesem Sinn fordert die Synode nun eine „Dialog– und Informationsbereitschaft auf allen Gebieten, die mit dem mündigen Bürger rechnet“.
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