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DDR weiter feuerbereit

■ Drei Fluchtversuche und ein Schuß an der Mauer / Vier Orst-Berliner wurden verhaftet / 'adn‘ spricht von „bestellter Aktion“ am Übergang Chausseestraße

Im Westen nichts Neues: Gleich drei Versuche von DDR -Bewohnern, Grenzkontrollen und Mauer im Norden und Süden der Stadt zu überwinden, sind am Wochenende gescheitert. Am Weddinger Grenzübergang Chausseestraße starteten am Samstag morgen zwei etwa 25 Jahre alte Männer einen Fluchtversuch. Wie der Ost-Berlin Korrespondent der 'Neuen Ruhr Zeitung‘, Thomas Krüger, der sich zufällig am Grenzübergang aufgehalten hatte, der taz gegenüber bestätigte, habe ein Grenzbeamter aus nächster Nähe auf einen der Flüchtenden geschossen. Der junge Mann sei jedoch unverletzt geblieben. Krügers Vermutung: „Der erste Schuß im Magazin muß eine Platzpatrone gewesen sein“. Es sei unwahrscheinlich, so der Journalist, daß man aus dieser geringen Entfernung daneben schießen könne. Außerdem habe er zwar den Schuß gehört, jedoch kein Mündungsfeuer gesehen.

Etwa zehn FußgängerInnen sowie fünf Pkws hatten sich während des Fluchtversuchs am Grenzübergang Chausseestraße aufgehalten. Wie gewöhnlich verurteilten die Alliierten, die Bundesregierung und der Senat den Schußwaffengebrauch und forderten die Verantwortlichen auf, die unmenschliche Praxis einzustellen. Bestürzend sei, so Senatssprecher Peter Jacob in einer Pressemitteilung, daß die DDR selbst am hellichten Tag an einem stark frequentierten Grenzübergang schieße und somit die Gefährdung Unbeteiligter in Kauf nehme. Die DDR -Nachrichtenagentur 'adn‘ berichtete außergewöhnlich schnell, behauptete aber, bei dem Fluchtversuch habe es sich um eine „von West-Berlin aus organisierte und bestellte Aktion“ gehandelt. Nähere Einzelheiten gab 'adn‘ jedoch nicht bekannt.

Die Nase voll vom real existierenden Sozialismus hatte anscheinend auch ein DDR-Bürger, der am Samstag abend versucht hatte, in den Wedding zu flüchten. Wie Anwohner gegenüber der Polizei berichteten, habe ein LKW versucht, die Sperranlagen auf Höhe der Bernauer Straße zu überwinden. Als der Wagen auf einer Betonsperre zum Stehen gekommen sei, hätten kurz darauf Angehörige der DDR-Grenztruppen das Gefährt umstellt und „Komm raus, komm raus!“ gerufen. Ob jemand das Fahrzeug verlassen habe und abgeführt worden sei, hätten sie aber nicht gesehen, so die Anwohner. Die Nachrichtenagentur 'adn‘ erklärte zu diesem zweiten Fluchtversuch innerhalb eines Tages, daß der Fahrer des LKWs den „Versuch eines gewaltsamen Anschlags“ auf die Grenze unternommen habe. Der „Täter“, so 'adn‘, sei unverletzt und ohne Anwendung von Waffengewalt festgenommen worden.

Ebenfalls die Flucht ergreifen wollte offenbar gestern morgen eine vermutlich männliche Person auf Höhe der Neuköllner Wildenbruch-/Heidelberger Straße. Dort hatte ein Zeuge beobachtet, wie ein Mann jenseits der Demarkationslinie auf dem Boden gelegen habe. Der Unbekannte sei kurze Zeit später von zwei Angehörigen der DDR -Grenztruppen zu einem Fahrzeug geführt und weggefahren worden. Schüsse seien nicht gefallen, erklärte der Mann, der die Vorgänge beobachtet hatte, gegenüber der Polizei.

cb/dpa

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