piwik no script img

DDR: Warenverkauf direkt ab Fabrik

■ Hersteller können Produkte selbst vertreiben / Debatte in der Volkskammer zur Versorgungslage / „Kommupitalisten“ als Schuldige ausgemacht / Ausschuß kontrolliert Stasi-Auflösung

Berlin (taz/dpa) - Die aktuelle Stunde der Volkskammer geriet gestern zu einer Stunde der Frauen. Bezeichnenderweise, könnte man fast meinen, drehte es sich doch ums Thema Einkaufen, oder, in der Sprache der Tagesordnung, um die „Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs“. Die zahlreichen Rednerinnen veranlaßten Burkhard Dörr von den Liberalen prompt zu der Bemerkung: „Ich hoffe, Sie verzeihen mir, daß ich keine Frau bin.“

Angesichts der desolaten Versorgungslage betrieben die Abgeordneten „Schadensbegrenzung“, wie es Dörte Martini von der CDU formulierte, und beschlossen, daß die Produzenten ihre Waren künftig direkt an Einzelhändler und Endverbraucher verkaufen können. Damit wird den Herstellerbetrieben das Recht eingeräumt, ihre Waren zu den gleichen Konditionen wie Handelseinrichtungen abzusetzen. Ihren Geschäftsführern wurde in der Debatte vorgeworfen, jahrelang als glühende Kommunisten Planwirtschaft betrieben zu haben, jetzt aber frühkapitalistische Methoden an den Bürgern zu erproben - als sogenannte „Kommupitalisten“, wie es Hans-Georg Dorendorf von der CDU ausdrückte.

Ehe es um Brot, Honig, leere Regale und der Suche nach den Schuldigen ging, widmeten sich die Abgeordneten aus aktuellem Anlaß dem Thema China. In einer gemeinsamen Erklärung entschuldigten sie sich für die Haltung der früheren Regierung anläßlich der Vorgänge auf dem Pekinger Tiananmen-Platz im vergangenen Jahr. Die damalige Volkskammer hatte am 8. Juni 1989 eine Stellungnahme abgegeben, in der der Militäreinsatz gerechtfertigt wurde.

Um die Vergangenheit ging es noch einmal, als die Volkskammer die Einrichtung eines Sonderausschusses zur Kontrolle der vollständigen Auflösung des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes beschloß, dem Abgeordnete aller sieben Fraktionen angehören werden. Mit der Auflösung ist derzeit eine Regierungskommission aus Theologen, Künstlern und Juristen befaßt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen