: DDR-Opposition will Aktionspause einlegen
■ Versammlung in Ostberlin beschließt Zurückhaltung / Weitere sechs Ausbürgerungen / ND druckt Artikel aus DKP-Zeitung ab: Zwangsabgeschobener Jahn als „Schaltzentrale“ regimefeindlicher Gruppen denunziert
Berlin (taz) – Mit Angst und Zurückhaltung hat die DDR-Opposition auf die jüngsten Inhaftierungen ihrer Mitglieder reagiert. Am Montag abend beschlossen rund 1.000 Oppositionelle auf einer Versammlung, zunächst keine Protestaktionen zu unternehmen. Anwesende Mitglieder der Kirchenleitung warnten vor „Aktionismus“. Wie berichtet, hat die DDR gegen mehrere am Montag morgen und am 17.Januar Festgenommene Ermittlungen wegen „landesverräterischer Beziehungen“ eingeleitet. Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland druckte gestern einen Artikel der DKP-Zeitung UZ nach, in dem der 1983 zwangsabgeschobene DDR-Oppositionelle Roland Jahn bezichtigt wird, von West-Berlin aus als „Schaltzentrale“ für „regimefeindliche Gruppen“ zu operieren und dessen Anschrift und Telefonnummer gleich mitpubliziert werden. Jahn erklärte gegenüber der taz, die Friedensbewegung sei „aus den Widersprüchen in der DDR-Gesellschaft gewachsen. Sie braucht keine Bevormundung von außen“.
Jahn verwies darauf, daß man ihm bei seiner Verurteilung wegen der Teilnahme an Friedensblockaden in Mutlangen und Bitburg vorgeworfen haben, „vom Osten gesteuert“ zu sein.
Der Ost-Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe betonte gestern in einem Interview mit dem Rias daß jetzt „Ruhe von außen“ das Wichtigste sei, damit „die Anwälte arbeiten können zugunsten der Inhaftierten“. Die jüngste Verhaftungswelle sei „kein Rückfall in die Eiszeit“. „Die Veränderungen werden weitergehen, auch wenn dem zwei Gegner gegenüberstehen: die Menschen, die Widerstand leisten und keine Veränderung wollen, auch im Apparat, und zweitens die Ungeduld.“ Stolpe geht davon aus, daß noch in dieser Woche alle Verfahren abgeschlossen und Urteile gefällt würden.
Am späten Montag abend sind gegen fünf Mitglieder der Gruppe „Staatsbürgerschaftsrecht in der DDR“ Haftstrafen von dreimal einem Jahr ohne Bewährung und zweimal zwei Monaten verhängt worden. Die Verurteilten haben Ausreiseanträge gestellt. Sie hatten sich am 17.Januar an der offiziellen Rosa-Luxemburg-Demonstration mit eigenen Transparenten beteiligen wollen. Sechs weitere Mitglieder der Gruppe wurden gestern aus dem Knast direkt in den Westen ausgebürgert. Alle sechs hatten Ausreiseanträge gestellt.
Mehrere Künstler aus der Bundesrepublik sind mittlerweile dem Aufruf der inhaftierten Theaterregisseurin Freya Klier nachgekommen und wollen solange nicht in der DDR auftreten, bis der Liedermacher Stephan Krawczyk wieder auf freiem Fuß ist. Die Kabarettisten Dieter Hildebrandt und Hans Dieter Hüsch haben ihre Auftritte in der DDR abgesagt.
Der SPD-Vorsitzende Vogel legte der DDR-Führung gestern „ein größeres Maß an Gelassenheit“ im Umgang mit der Opposition nahe. Vogel verwies auf das gemeinsame SPD/SED-Papier, in dem sich die SED für die „Möglichkeit zur Äußerung abweichender Meinungen“ ausgesprochen hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen