: DDR-Kirche gewährt Erich Honecker Asyl
■ Weil er den todkranken Ex-Staatschef aufgenommen hat, erhält der Pfarrer in Bischofswerda Dutzende von Drohanrufen
Berlin (ap/dpa) - Die Kirche in der DDR wird mit Drohungen überschüttet, weil sie den gestürzten, kranken ehemaligen Staatschef Erich Honecker in einem kirchlichen Altersheim aufgenommen hat. Allein der evangelische Pfarrer Christian Näcke aus Bischofswerda erhielt am Mittwoch nach eigenen Angaben Dutzende von Drohanrufen. Bei einem Gespräch mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth in Dresden sagte Näcke: „Ich bin am Morgen 22mal angerufen und bedroht worden, weil die Kirche Erich Honecker aufgenommen hat.“
Die amtliche Nachrichtenagentur 'adn‘ hatte am Dienstag abend gemeldet, Honecker sei in die Hoffnungsthaler Anstalten in Lobetal bei Berlin gekommen, wo er in einem Altersheim lebe. Die Hoffnungsthaler Anstalten sind ein Heim für alte, psychisch kranke und gebrechliche Menschen. Am Mittwoch korrigierte 'adn‘ jedoch diese Darstellung und berichtete, der Leiter der Anstalten, Pastor Uwe Holmer, habe das Ehepaar „privat aufgenommen“.
Pfarrer Näcke sagte, die Menschen hätten wüste Beschimpfungen über den 77jährigen Ex-Politiker geäußert und ihn „Honecker, das Schwein“ genannt. Die Anrufer seien ohne jegliche Bereitschaft zur Vergebung gewesen. Er halte die Anrufer für seelisch krank. Gegen die Festnahme des todkranken Honeckers waren in der DDR vereizelte und im Ausland massive Proteste lautgeworden.
Zu der Unterbringung Erich Honeckers in Lobetal gab das Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg eine Erklärung ab, in der die Haltung der Kirche erläutert wird. Darin wird betont, daß die Unterbringung des ehemaligen Staatsoberhauptes grundsätzliche Aufgabe des Staates sei. Das Ehepaar Honecker sei jetzt im Pfarrhaus des Leiters der diakonischen Einrichtung aufgenommen worden. Es werde also keinem Antragsteller ein Heimplatz weggenommen.
In drei Punkten wird grundsätzlich festgehalten, daß die strafrechtliche Verantwortung Honeckers noch zu klären sei. Die Kirche entziehe Honecker nicht der „irdischen Gerechtigkeit“. Viele Menschen hätten unter der von ihm zu verantwortenden Politik „Unrechtsmaßnahmen erlitten“. Es sei allerdings kein gutes Zeichen für die ehemals führende Partei und ihren Staat, daß sie diesem Mann, dem sie noch bis vor kurzem zujubelten, heute den Lebensraum kurzerhand versagten. Die Schuld an der derzeitigen Situation in der DDR treffe immerhin alle. Bei manchen Äußerungen könnte man sich nicht des Eindrucks erwehren, als ob Sündenböcke gesucht würden, um sich selbst zu entlasten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen