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DDR-Bürgerbewegungen im Machtkampf

■ In der zweiten Verhandlungsrunde zwischen Grünen und Bürgerbewegungen stellten zwei Vertreter des Neuen Forums die Machtfrage / Abgrenzung zur PDS bestätigt, VL bleibt dennoch im Bündnis / Streit um sichere Listenplätze ausgebrochen

Aus Berlin Klaus Wolschner

Die große Einigung zwischen West-Grünen und Bürgerbewegungen der DDR ist in einer zweiten Verhandlungsrunde am Sonntag abend im Haus der Demokratie von den Vertretern des „Neuen Forums“ (NF) wieder gründlich in Frage gestellt worden. Unterdem Etikett „Grüne/Bündnis 90“ wollen alle gleichberechtigt zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen antreten, war vor zwei Wochen beschlossen worden, das NF hatte Zustimmung signalisiert. „Trägerorganisation für die Bündnispartner aus der DDR ist das Neue Forum“, lautete am Sonntag völlig überraschend, knapp und ultimativ das Ansinnen der neuen NF-Vertreter Klaus Wolfram und Reinhard Schult. Weiter: Die West-Grünen sollen vier Listenplätze für DDR-Kandidaten offenhalten, die Teilnehmer der Listenverbindung „verpflichten sich, eine Koalitionsaussage vor der Wahl zu treffen“. Die anderen Gruppierungen aus der DDR waren einigermaßen ungehalten über den plötzlich aufgestellten Machtanspruch des Neuen Forums. „Will das Neue Forum überhaupt das Bündnis?“ fragte Uwe Lehmann von der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ (IFM). An den inhaltlichen Diskussionen habe sich das Neue Forum nicht beteiligt, berichtete Christian Noack von „Demokratie Jetzt“ (DJ).

Werner Schulz, Volkskammerabgeordneter für das Neue Forum, zweifelte die Legitimation der beiden NF-Sprecher an. Auf dem „Republikforum“ des NF sei Wolfram nicht legitimiert worden, dort war Henrik Poller gewählt worden, der inzwischen vom NF-Sprecherrat abgesetzt wurde und die Verhandlungen nur schweigend verfolgte. Die Strömung um Wolfram habe aber in Strausberg eine Minderheit dargestellt.

Die Infragestellung der vor 14 Tagen erreichten Verhandlungsergebnisse wurde von den VertreterInnen des „Unabhängigen Frauenverbandes“ (UFV) und der „Vereinigten Linken“ (VL) unterstützt, die wollten die deutliche Abgrenzung gegen die PDS „wegverhandeln“. Eine Unterordnung unter das Organisationsetikett „Neues Forum“ lehnten jedoch auch sie ab. Die PDS-Abgrenzung, das machte Heide Rühle von den BRD-Grünen klar, war eine Bedingung dafür gewesen, daß VL und UFV - in deren Reihen PDS-Mitglieder mitarbeiten würden - am Bündnis teilnehmen können. Für eine Namensänderung in „Grüne/Neues Forum“, die deutlicher an die Tradition des Herbstes erinnern würde, stimmten schließlich nur die beiden Vertreter des NF. Mit acht Stimmen (West -Grüne, Ost-Grüne, DJ, IFM) wurde nach sechsstündiger quälender Debatte beschlossen, daß weiter gelten soll, was vor 14 Tagen beschlossen worden war, einschließlich der Abgrenzung gegen die PDS, die damals insbesondere vom NF eingebracht worden war. Das NF meinte vieldeutig, „heute“ könne man das Bündnis nicht unterschreiben. Daß VL -Mitglieder auch auf der „Linken Liste/PDS“ kandidieren, wurde hingenommen. Vereinigte Linke und UFV wollten vorbehaltlich der Zustimmung ihrer basisdemokratischen Delegiertenversammlungen - dennoch weiter mitarbeiten.

Zu einer Debatte über die Wahlplattform, die mögliche Rolle der neuen politischen Kraft im vereinigten Deutschland und die politischen Ziele des Wahlbündnisses kam es dann immer noch nicht - vorrangig war die Vergabe von zwei Posten im zukünftigen Parlament. Denn die NRW-Grünen wollen zwei DDR -KandidatInnen auf sichere Listenplätze setzen - wenn die beiden vorgeschlagenen Personen Wolfgang Templin und Tatjana Böhm das Vertrauen ihrer Gruppen haben. Am Freitag wird die Liste gewählt, damit war die offene Postendebatte unter den DDR-Gruppen nicht mehr zu vertagen. Wieviele sichere Plätze wird es auf DDR-Listen geben? Wenn Tatjana Böhm über die Liste in Nordrhein-Westfalen (NRW) reinkommt, mindert das die Chancen anderer UFV-Frauen, erste Listenplätze zu bekommen? Wenn die beiden nicht gerade Verfechter von PDS -Büdnispolitik sind - werden dann, wie die VL forderte, auf den DDR-Listenplätzen eher PDS-nahe Gruppenvertreter berücksichtigt? Taktiert das Neue Forum, um vier von mutmaßlich sechs sicheren DDR-Plätzen für sich beanspruchen zu können, oder will es ganz raus aus dem Wahlbündnis und sich auf die Landtagsebene konzentrieren? Drei mühselige Stunden lang dauerte das Tauziehen, an dessen Ende der Termindruck der NRW-Grünen sich durchsetzen konnte: Die entsprechenden Gruppen quälten sich eine Zustimmung zu ihrer Kandidatur ab.

Am weiteren Streit um die DDR-Plätze wollen IFM und UFV „gleichberechtigt“ teilnehmen. Das gehe nicht, die beiden Plätze müßten berücksichtigt werden, konterten DJ und DDR -Grüne. Also beschloß die Versammlung mit großer Mehrheit, am Listenpoker sollten alle „gleichberechtigt unter Berücksichtigung der beiden Plätze“ teilnehmen.

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