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Archiv-Artikel

DAS REFORM-GEZERRE ERHÖHT DIE DISTANZ DER WÄHLER ZUR POLITIK Nicht nur eine Komödie

Erst die lustige Seite: Es ist auch eine Komödie, die seit Tagen geboten wird im Streit um die Steuer- und Sozialreformen. Man muss allerdings den richtigen Humor dafür entwickeln. Im Vermittlungsausschuss sitzen 32 PolitikerInnen und verhandeln Tag und Nacht, es gibt einen großen Verhandlungsraum und zwei Vorbesprechungsräume für die so genannte A-Seite und die B-Seite. Die A-Seite, das sind die Vertreter von SPD und Grünen, die B-Seite die Vertreter von CDU, CSU und FDP. Auf den Fluren sitzen Fachleute und Mitarbeiter wie die Hühner auf der Stange und werden von Zeit zu Zeit in einen der Räume gerufen. Dutzende von Kamerateams und hunderte von JournalistInnen lungern auf den Fluren herum, um jedes Bröckchen Information aufzusaugen. Das Ganze nimmt den Charakter eines Fußball-Endspiels an. Am Sonntag werden mit Gerhard Schröder und Angela Merkel gewissermaßen die Hauptgegenspieler eingewechselt, dann kommt die Entscheidung. Deutschland kann aufatmen!

So weit, so lustig. Die weniger lustige Seite: Das Publikum ist zunehmend verwirrt. Es fragt sich, was denn nun ist mit dem Arbeitslosengeld II und der Steuerreform. Wobei es ohnehin schwer zu erklären war, warum die CDU im Vermittlungsausschuss neben den Steuer- und Sozialreformen auch noch dringend über den Kündigungsschutz und die Tarifautonomie verhandeln musste. Im normalen Alltag verhandelt man nach und nach über schwierige Themen, doch hier wurden einfach neue Nebenthemen eingeführt, um die eigene Position zu stärken. Fragt sich, ob die Protagonisten dieses machtpolitischen Pokers dabei noch realisiert haben, dass es um Politik mit konkreten Auswirkungen für konkrete Menschen geht. Und die interessieren sich wenig für das Geschick des CDU-Verhandlungsführers Roland Koch und dessen Auswirkung auf sein politisches Schicksal, was wiederum die Chancen von Angela Merkel … Nein! Das tagelange Herumtaktieren, die ständigen nichtssagenden Auftritte vor den Fernsehkameras stellen nur scheinbar eine größere Nähe her zu den Bürgern – in Wirklichkeit wird deren Distanz und ambivalente Einstellung zur Politik dadurch noch verstärkt. BARBARA DRIBBUSCH