DAS POLNISCHE NEIN ZUM ATOMKRAFTWERK IN LITAUEN IST TAKTISCH : Strahlende Geschäfte
Diesmal geht es nicht um die Quadratwurzel. Sondern um einige Prozentpunkte. Dass Warschau den Abschluss eines Regierungsvertrags über einem AKW-Neubau in Litauen erst einmal platzen ließ, hat nur vordergründig mit dem Streben nach größerem nationalen Einfluss zu tun. Klar, wenn man sich schon an einem Gemeinschaftsprojekt wie dem Bau eines neuen Atomkraftwerks beteiligen soll, dann will man nicht ein Minderheitseigentümer unter mehreren anderen sein. Und etwa mit Kleinstaaten wie Estland oder Lettland auf eine Stufe gestellt werden. Doch es steckt mehr dahinter. Polen hat es in der Hand, ob dieses Projekt eine Chance hat, profitabel und damit überhaupt verwirklicht werden zu können.
Eon und Vattenfall, die bereits ihr Interesse an einer Mitfinanzierung eines solchen AKW-Neubaus verkündet haben, wollen den Strom selbstverständlich auch nach Mitteleuropa einspeisen können. Und brauchen dazu eine Leitungstraße über Polen. Denn die 2.500 bis 3.000 Megawatt der geplanten Reaktoren sind natürlich nicht nur für den Standort Litauen bestimmt. Die Atomlobby hat die vielversprechende Geschäftsidee der „atomaren Vasallenstaaten“ entdeckt: atomwillige Länder wie Finnland oder Litauen, in die man den woanders nicht mehr geduldeten Aufbau neuer Kapazitäten einer veralteten, aber noch profitablen Energieproduktion auslagern kann.
Die Atomkraftgegner sollten sich nicht darauf verlassen, dass die polnischen Quertreiber das AKW-Projekt stoppen. Da dürfte allein schon der dort erhoffte Anteil am Profit bei Produktion und Durchleitungsrechten schwerer wiegen. Und sie darf den Kampf gegen den Neubau nicht allein den baltischen Antiatomgruppen überlassen. Die größten potenziellen Financiers sitzen hier und sind gegenüber vielfältigem Druck sicher nicht unempfindlich. Und für einen Neubau bräuchte Litauen Bankkredite und EU-Fördermittel. Mit Schließung des Reaktors vom Tschernobyl-Modell in Ignalina endet 2009 in Litauen die Atomkraftära. Dass sie dort 2017 oder 2018 wiederbelebt wird, kann verhindert werden. REINHARD WOLFF