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DAS KÜNFTIGE EUROPAGlanz und Elend eines Kurtisanen

Jacques Attali, porträtiert  ■ VON ALEXANDER SMOLTCZYK

Wenn Brillanz die Fähigkeit ist, auf allen Gebieten und in alle Richtungen schillernde Ideen auszusprühen, dann ist dieser Mann brillant. Jacques Attali, Edelgewächs des französischen Eliteschulsystems, Präsidentenberater und seit neuestem Chef der Osteuropäischen Entwicklungsbank BERD. Ein Mann, 1943 in Algier geboren, der – so die Legende – mit fünf Stunden Schlaf auskommt und deswegen nicht nur eine, sondern gleich drei Edel-Beamtenschulen absolviert hat: Polytechnique, Ecole des Mines und natürlich die Ecole Nationale d'Administration. 1973 tritt er in die Parti Socialiste ein und wird ökonomischer Berater von Fran¿ois Mitterrand. Der wiederum weiß es als Hobbyliterat zu schätzen, wenn ihn jemand zwischen Tür und Angel noch auf den Zusammenhang von Kybernetik, Fernand Braudel und dem letzten Eisenbahnbudget hinweist. Attali macht das. Und er schreibt auch Bücher, zur Stunde sind es fünfzehn Stück. Einen Bestseller über „Anti-Ökonomie“, eine gefällige Mischung aus Systemtheorie, Keynes und Geopolitik, in der unter anderem – Anfang der siebziger Jahre – prophezeit wird, daß Deutschland in den nächsten 15 Jahren seine Stellung als Großmacht verlieren werde. Oder auch eine Abhandlung über die Zeit, eine Biographie des Bankiers Warburg, und zwischendurch noch einen Roman. Böse Zungen, und derer sind nicht wenige am Hofstaat Mitterrands, wollen wissen, daß Attalis Werke zu größeren Teilen aus nicht gekennzeichneten Zitaten bestehen. Wie dem auch sei – gewiß ist Attali eher ein genialer Eklektizist denn ein originärer Denker.

1980 schreibt Mitterrands Berater seinem Herren den Hauptteil eines Wirtschaftsprogramms, mit dem dieser die Wahlen gewinnen, später aber sehr auf die Nase fallen wird. Schon 1974, als Mitterrand seinen Wirtschaftsexperten in die SPD-Baracke geschickt hatte, um den deutschen Genossen sein ökonomisches Programm im Falle eines Wahlsiegs zu erklären, hatten diese – damals noch an der Macht – nur bemerkt: „Alles wunderbar. Aber das einzige, was uns interessiert: Wann und zu welchem Kurs verkauft ihr eure Goldreserven?“ In seiner Präsidentenbiographie berichtet Franz-Olivier Giesbert sehr maliziös, wie die „Kurtisanen“ Attali und Fabius sich bis zuletzt gegen die wirtschaftspolitischen Kursänderungen eines Jacques Delors und Pierre Mauroy gestemmt haben, was sie übrigens nicht daran hindern würde, sich die Urheberschaft der Wende post festum auf die eigenen Fahnen zu schreiben. Um Gottes Ohr noch näher zu sein, schlug Mitterrands Sherpa sein Lager im Vorzimmer des Elysee-Palastes auf. Er beobachtete sorgfältig das Kommen und Gehen der Gäste, lernte auch das Golfspiel, um den Präsidenten zu zerstreuen. Attali oblag der Kontakt zur angelsächsischen Welt und zur „petit monde“ der Pariser Dichter und Denker. Er war in der Lage, in einem einzigen Monat 73.000 Kilometer durch die Welt zu düsen (sein Zwillingsbruder ist übrigens Chef von Air France) und setzte alles daran, dem Präsidenten das Image eines Weltpolitikers zu verschaffen. So war auch der pompöse Weltgipfel in Versailles 1982 eine Idee Attalis. Dort hielt Mitterrand eine lupenreine Attali-Rede: Alle G7-Staaten müßten gigantische Mengen von Kapital mobilisieren, um eine gemeinsame Ausbildungs- und Forschungsinitiative zu lancieren. Daraus wurde das Eureka-Programm, ein blasser Abklatsch der weltumspannenden Visionen Attalis. Andere Projekte des Präsidentenberaters: die Kopplung der Revolutionsfeierlichkeiten mit dem Gipfeltreffen der Sieben; die geplante „Sehr Große Bibliothek“ am Ufer der Seine und das Deichbauprogramm für Bangladesch. Doch trotz eines gewissen Hangs zur technokratischen Megalomanie traf sich Attali einmal pro Woche mit dem Komiker Coluche zum Frühstück. „Letztlich reicht es, wenn unter den zehn Ideen, die mir Attali vorschlägt, eine gute ist. Das ist schon ganz vortrefflich“, meinte Fran¿ois Mitterrand kurz bevor er seinen Ratgeber an die Spitze der BERD entließ. Auch sie eine Idee Attalis. Vielleicht sogar eine gute.

Alexander Smoltczyk arbeitet als Korrespondent in Paris für die„tageszeitung“

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