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Archiv-Artikel

DAS ENTSCHEIDENDE DETAIL Der Gott der kleinen Dinge

UNTERWERFUNG Libyens Diktator Gaddafi gibt offenbar Viagra an seine Soldaten aus. Was einst der Ermächtigung diente, soll nun demütigen

Bombenangriffe, Kriegsschiffe, Giftgas – mit allem hätte der Westen und vermutlich auch das libysche Volk gerechnet, nur nicht mit einer hellblauen Pille. Viagra heißt die Wunderwaffe, die Gaddafis Männern laut Medienberichten zum Sieg über sein Volk verhelfen soll. Das kleine blaue Ding, das normalerweise als Glücksversprechen die Nachttische westlicher Städter ziert.

Auf einen Großangriff hat der Westen gewartet, und nun diese Kleinigkeit, die vor dem Hintergrund der bekannt gewordenen Vergewaltigungsvorwürfe jedoch viel mehr für den Willen zur Vernichtung steht als jede Rakete. Denn das Potenzmittel wird ausgegeben, damit – so die gesendete Botschaft – Gaddafis Soldaten möglichst effektiv vergewaltigen mögen. Diese Geste soll jedoch nicht nur das rebellierende Volk treffen, sondern auch den Westen. Dort wurde das Mittel dereinst zur Befreiung von Männern aus der sexuellen Unfähigkeit gedacht, nun wird es zum Zweck der Unterwerfung der Frau missbraucht. Was einst ermächtigen sollte, wird nun Demütigung.

Gaddafi selbst hat sich damit noch mehr zur Groteske gemacht. Der kleine Mann mit dem vernarbten Gesicht und den bunten Kostümen wird immer mehr zu einer Comicfigur, einem schrecklichen Clown, einem selbst ernannten Erretter, der keine Großtat mehr vollbringt, den Kleinkrieg aber dafür umso eifriger betreibt – ein Gott der kleinen Dinge.

Doch es sind gerade die kleinen und vielleicht sogar fast unsichtbaren Dinge, die den Menschen und sein Potenzial ausmachen können. Auch das Potenzial, Furchtbares zu tun.

SUSANNE HAMANN