DAS EIGENTLICH SCHLIMME IST, DASS JEMAND WIE ER SOLCH EINEN EINFLUSS ERLANGEN KONNTE. UND DANN KOMMT JETZT IN DIESEM ETWAS UMSTÄNDLICHEN GEDANKENGANG DIESES DING INS SPIEL : Der kleine Adolf auf der Tasse
KATRIN SEDDIG
Eine Hitlertasse wurde also in Delmenhorst verkauft. Wenn man sich die Tasse anschaut, wenn man nach dem kleinen Hitler auf der kleinen Briefmarke sucht, wenn man ihn dann entdeckt und, tatsächlich, gleich neben dem Rosenblütenblatt, auch den Poststempel mit dem Hakenkreuz, dann will man vielleicht eigentlich nicht, aber doch, man muss, zumindest ein bisschen, nun ja, lachen. Über Hitler zu lachen ist ein Problem. Man weiß nicht, ob man darf.
Es ist ja alles, was mit diesem Mann, der ja doch ein Mensch war, zusammenhängt, zu ungeheuerlich. Das Ungeheuerliche ist so groß, dass es alle anderen Aspekte, als die der Be- und Verarbeitung des Grauens verdrängt. Allerdings gibt es doch einiges an Hitler-Komik, mittlerweile und richtigerweise, wie ich finde, denn dieser Mann muss auch im Geiste totgetrampelt werden, damit ihm jeglicher Rest- oder auch Neo-Mythos genommen und er auf jede Weise entthront wird.
Ein Männlein wie er, mit wahnwitzigen Ansichten, schlechtem Geschmack, unter Selbstüberschätzung leidend, und intellektuell scheiternd in allen Bereichen der Bildung, hätte ja schon immer eine eher komische Figur abgeben sollen. Das eigentlich Schlimme ist ja auch nicht er, das eigentlich Schlimme ist, dass jemand wie er solch einen Einfluss erlangen konnte.
Und dann kommt jetzt in diesem etwas umständlichen Gedankengang die Tasse ins Spiel. Die Tasse ist von einem Möbelhaus ins Sortiment genommen worden, weil sie den momentanen Geschmack der Leute trifft. Sie stehen auf Romantik.
Sie mögen solche alten Blüten, das Verschwommene und das Abblätternde, sie mögen den Chabby-Schick. Sie sehnen sich nach einer besseren Vergangenheit, nach einer heilen Welt, egal, wann ob das irgendwann gewesen sein soll, die heile Welt. Sie posten auf Facebook Erinnerungen an eine Zeit, in der die Kinder noch draußen spielten, anstatt vor dem Computer zu sitzen, und sie liken es, dass diese Zeit, also die ihrer eigenen Kindheit, besser gewesen sein soll, als die jetzige Zeit.
Sie teilen unentwegt Sinnsprüche, die entweder vor glühenden Sonnenuntergängen oder verschwommenen Herbstlandschaften aufgedruckt sind. Sie tendieren zum Pathos, zu den tiefen, aber den ganz tiefen Gefühlen, sie lehnen alles ab, was ihre herbeigesehnte Harmonie stört, sie tendieren deshalb auch dazu, gegen alles, was anders als ihr Bild von dieser rückwärtsgerichteten, herbeigesehnten Idealwelt ist, zu sein.
Sie sehen Schönheit immer im Mittelmäßigen und wehren sich vehement gegen ein vermeintliches, abweichendes Schönheits- oder auch moralisches Diktat, das ihnen von Minderheiten, die ihnen das Recht auf ihr Mittelmaß absprächen, allein dadurch schon, dass sie sich zum Beispiel sichtbar machten oder sich öffentlich äußerten, aufgezwungen würde.
Die Hitlertasse liegt im Trend. Sie vereint all das, was die Masse derzeit liebt. Den Hitler würde keiner zugeben.
Aber die Rosen, die verschlungenen Buchstaben, die ganze selige Poesiealbumromantik, die auch 1933 so beliebt war. Die Schönheit von Rehen und Berggipfeln und sanften Schäferinnen, sowas gefiel auch Adolf Hitler, mit seinem beschränkten Kunstverständnis.
Das Schlimme aber, das ist nicht der kleine Adolf auf der Tasse, das Schlimme ist, was in den Kommentaren unter den Tassenbeiträgen steht. Das Schlimme ist, dass die Stimmung wieder so ist. Dass das Mittelmaß wieder bereit ist für einen kleinen Adolf. Dass sie sich wieder in den Schund flüchten, in die Rosenpoesie, die Lackbildchen und den Pathos.
Die Dummheit und der Hass, auf das, was ihre Idylle stört, das ist das Schlimme. Die Hitlertasse, das ist Deutschland, wie es gerade ist. Das ist unser Land. Das ist unsere Tasse. Daraus trinken wir unseren Kaffee. Das ist unser Geschmack. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen